Den Leichtbau auf die Schiene gebracht: DLR-Verkehrsforscher entwickeln leichteren Zugwagen

Schnell, sicher, energieeffizient und komfortabel – das sind die Ansprüche an den Schienenverkehr von morgen.

Im Zuge des Projekts Next Generation Train (NGT) haben Wissenschaftler des DLR-Instituts für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart, des DLR-Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik in Braunschweig und des DLR-Instituts für Werkstoffforschung in Köln einen möglichst leichten Zugwagen konstruiert. Durch die konsequente und umfassende Nutzung von Leichtbauweisen rechnen die Forscher damit, die Masse des Wagenkastens um bis zu dreißig Prozent gegenüber herkömmlichen Modellen zu reduzieren.

Der Wagenkasten – also die "Karosserie" des Wagens – besteht aus Außenwänden, Boden, Dach sowie Stirnwänden. Heute aus Aluminium und Stahl gefertigt beeinflusst er maßgeblich die Gesamtmasse eines Zuges. Gleichzeitig wirken sich Masse und Konzeption des Wagenkastens auf viele weitere Komponenten aus wie Fahrwerk oder Inneneinrichtung.

Weniger Energieverbrauch und neue Zugkonzepte

"Über den Fahrwiderstand wirkt sich die Masse des Schienenfahrzeuges direkt auf den Energieverbrauch aus. Weniger Gewicht lohnt sich also aus Kosten- wie aus Umweltgründen", erklärt Gruppenleiter Jens König. „Im Bahnbereich geht man von einer Lebensdauer von rund dreißig Jahren aus. Über so einen langen Zeitraum wirkt sich jede Senkung des Energieverbrauchs entscheidend aus“, so König weiter.

"Im Idealfall sieht der Wagenkasten oberhalb der Fahrwerke aus wie eine Wabenröhre. Die Tragstruktur besteht aus einem Aluminiumgerippe, das innen hohl ist. Das Aluminiumgerippe wird mit sogenannten Sandwichelementen verkleidet, die aus einem Schaumkern zwischen zwei Deckschichten aus Aluminium bestehen und ebenfalls eine tragende Funktion übernehmen", beschreibt König die entwickelte Bauweise für den Fahrwerksbereich. Zwischen den Fahrwerksbereichen befindet sich das Fahrgastmodul, das von DLR-Wissenschaftlern in Braunschweig entwickelt wurde. Aufgrund seiner vorwiegend flächigen Struktur kommen hier Leichtbauelemente aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff mit einem Schaumkern zum Einsatz.

Gleichzeitig ermöglicht ein leichterer Wagenkasten neue Zugkonzepte: sprich möglichst lange Wagen mit wenig Achsen und Fahrwerken. Deren Anzahl wird maßgeblich bestimmt durch die zulässige Achslast. Im Hochgeschwindigkeitsbereich beträgt die maximale Zuglänge rund vierhundert Meter. "Wenn es uns gelingt, die Masse zu senken, können wir bei weniger oder gleichbleibender Achszahl längere Wagenkästen bauen. Das heißt: Es sind weniger Übergänge zwischen den einzelnen Wagen notwendig, was sich positiv auf die Aerodynamik des Gesamtzuges auswirkt, wiederum Energie einspart und mehr Platz für Fahrgäste schafft", erklärt Jens König einen weiteren Vorteil.

In zwei Schritten zu leichteren Zugwagen

Bei ihren Untersuchungen konzentrierten sich die Wissenschaftler auf Personenwagen für den Hochgeschwindigkeitsverkehr bis zu vierhundert Stundenkilometern. Im ersten Schritt betrachteten die DLR-Ingenieure unterschiedliche Zugkonzepte und erstellten Berechnungsmodelle für einstöckige, teildoppelstöckige und durchgängig doppelstöckige Wagen. Diese Modelle unterzogen sie am Computer einer sogenannten Topologieoptimierung: Mit Hilfe eines numerischen Berechnungsverfahren wurden die einzelnen Modelle dabei entsprechend den vorgegebene Normen belastet und die Steifigkeit jedes einzelnen Elements unter gegebenen Randbedingungen untersucht.

Auf diese Weise entstand eine Tragstruktur, die optimal an die jeweiligen Anforderungen und Belastungen angepasst ist – sprich das "Gerippe" eines Wagenkastens, das nur noch die Struktur aufweist, die wirklich benötigt wird. Diese optimale Tragstruktur rüsteten die DLR-Wissenschaftler dann virtuell mit allem aus, was ein wirklicher Wagen benötigt: von der Innenverkleidung über Sitze bis hin zur Zuladung. Für jedes Zugkonzept ermittelten sie dann die Masse in Bezug zur Gesamtlänge beziehungsweise den verfügbaren Sitzplätzen. Diese Kennzahlen zeigen auf, welches Zugkonzept das größte Leichtbaupotenzial aufweist. In diesem Vergleich schnitt der komplett doppelstöckige Wagenkasten mit einer Länge von zwanzig Metern am besten ab.

Auf Grundlage dieser Ergebnisse unterzogen die DLR-Forscher im zweiten Schritt das Modell des doppelstöckigen Wagenkastens einer erneuten Topologieoptimierung, um möglichst genau herauszufinden, wie die Kräfte bei Höchstlasten entlang der Tragstruktur verlaufen. Im Anschluss erfolgte anhand dieser Ergebnisse die konzeptionell-konstruktive Umsetzung am Computer, bei der auch Aspekte wie die Herstellbarkeit und die wirtschaftliche Fertigung berücksichtigt wurden.

Für die erste Umsetzung suchten sich die DLR-Wissenschaftler einen Ausschnitt des Fahrgastmoduls und Zwischenbodens heraus sowie den Wagenkastenbereich über dem Fahrwerk, weil dieser Ausschnitt besonders hohen Belastungen durch Stöße, Anfahren und Bremsen standhalten muss. Mit diesem Demonstrator führten sie Belastungstests durch, die einen außergewöhnlichen Lastfall wie beispielsweise einen Zusammenstoß beim Rangieren simulieren sollen und konnten so die Eigenschaften der am Computer entwickelten Gerippestruktur bestätigen. Im Fokus weiterer Arbeiten stehen nun die Untersuchung von Betriebslasten, die durch die Aerodynamik und Fahrdynamik auf die Struktur wirken sowie Aspekte der Fertigung und das Verhalten bei Kollisionen.