Unbemannte Katastrophenhilfe aus der Luft: Rettungsübungen bei simuliertem Hochwasser

Seit dem 9. September 2015 finden im Rahmen des EU-Projekts "DRIVER" an drei aufeinanderfolgenden Tagen Flugversuche in einem simulierten Katastrophenszenario statt. Es sind erschütternde Szenen, die in diesen Tagen in Braunschweig simuliert werden: Ein starkes Hochwasser hat das Gebiet um den Tankumsee bei Gifhorn weiträumig überflutet, auch umgebende Straßen sind betroffen und vereinzelt treiben Menschen im Wasser. Das Hochwasser existiert während dieser Übung jedoch nur digital auf den Bildschirmen im Validierungszentrum Luftverkehr des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Hier wurde für die Versuchskampagne ein Krisenmanagementzentrum eingerichtet.

Derweil kreist das DLR-Forschungsflugzeug D-CODE, eine Do-228, rund um den Tankumsee. Dabei liefert es Situationsbilder in Echtzeit an die U-FLY-Bodenstation im DLR-Institut für Flugführung - Informationen, die den Rettungskräften zur Koordinierung der Katastrophenlogistik dienen. Die Technik soll zukünftig einen entscheidenden Beitrag zum europäischen Katastrophenschutz liefern.

Katastrophenmanagement für Europa

Zusammen mit 36 Organisationen aus 13 EU-Staaten, darunter das Technische Hilfswerk (THW), ThalesFrequentis, die Fraunhofer-Gesellschaft und Mitglieder des Internationalen Roten Kreuzes, arbeitet das DLR in dem EU-Projekt DRIVER (Driving Innovations in Crisis Management for European Resiliance) an einem paneuropäischen System für ein verbessertes Krisenmanagement. "Hier geht es allerdings nicht nur um die Entwicklung von neuen Softwaresystemen, sondern wir möchten in DRIVER mit einer starken Einbindung von Rettungs- und Einsatzkräften auch ein gemeinsames, länderübergreifendes Verständnis für ein verbessertes Krisenmanagement entwickeln", so die DLR-Projektleiterin Dr. Dagi Geister vom DLR-Institut für Flugführung.

Dazu werden in der aktuellen Experimentkampagne verschiedene Technologien und Systeme zum Katastrophenmanagement zusammengeführt und als Gesamtsystem in einem nahezu realistischen Szenario zum ersten Mal erprobt. Die Ziele der Flugversuche sind die Echtzeiterfassung des Ausmaßes einer Hochwasserkatastrophe mittels Luftbildaufnahmen. Dazu gehören ebenfalls die Analyse der Verkehrslage und die Identifikation von Rettungswegen. Weiterhin sollen Menschen in Notlage mit einer speziellen Software auf den Aufnahmen automatisch erkannt und dann von ehrenamtlichen Rettungsschwimmern tatsächlich gerettet werden. Für eine möglichst realistische Simulation der Hochwassersituation erstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) aus historischen Daten eine Hochwasser-Maske, die über die aktuellen Luftaufnahmen gelegt wird.

Die Rettung von morgen: Schnell, effizient und unbemannt?

Eine Sonderstellung nimmt in den aktuellen Versuchen der Einsatz von unbemannten Luftfahrzeugsystemen, sogenannten Remotely Piloted Aircraft Systems (RPAS), ein, die vom Boden aus gesteuert und überwacht werden. Ein entscheidender Vorteil bei dem Einsatz von RPAS in Katastrophensituationen ist, dass sie in der Lage sind, aktuelle und hochaufgelöste Luftbildaufnahmen von Gebieten zu erstellen, die für Rettungskräfte schwer zugänglich oder gefährlich sind. Bei Tsunamis, Stürmen oder Überschwemmungen können RPAS mittels serieller Luftbilder den Verlauf und die Ausbreitung einer Katastrophe sichtbar machen. Weiterhin unterstützen sie die Hilfskräfte, indem sie mit ihren Bildern Informationen zu der Verkehrslage und -infrastruktur liefern - wichtige Daten für die genaue Einsatzplanung.

Autopilot am Steuer

Für die Flugversuche über dem Tankumsee wurde ein Experimentalsystem in das DLR-Forschungsflugzeug D-CODE eingebaut, mit dem es möglich ist, komplette Flugwege vom Start bis zur Landung sowie Steuerungsanweisungen (wie Höhen- oder Kursänderungen) vom Boden aus über einen Datenlink direkt an das Flugzeug zu übermitteln. Eine Sicherheitscrew ist für den Notfall aber immer mit an Bord. Die Missions- und Flugplanung erfolgt komplett vom Krisenzentrum in Braunschweig aus und die Suchmuster, die das Flugzeug aktuell über dem Gebiet abfliegt, wurden schon im Vorhinein berechnet. "Wir sind allerdings in der Lage dynamisch in den Flug einzugreifen und die Flugwege dementsprechend zu verändern. So können wir auf bestimmte Ereignisse, wie beispielsweise notwendige Ausweichmanöver zu umgebendem Luftverkehr oder Menschen, die im Wasser schwimmen, schnell reagieren", erklärt DLR-Wissenschaftlerin Dr. Dagi Geister. Tatsächlich schwimmen neben einem Rettungsboot von der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) bei den Überflügen auch fünf Freiwillige im Wasser.

Die D-CODE wird bei ihren Luftaufnahmen die Technik verwenden, die schon im Verkehrsprojekt VABENE erfolgreich getestet wurde: Das eingebaute 3K-Kamerasystem erfasst ein 80 Quadratkilometer großes Gebiet in ungefähr zwei Minuten. Von diesem Gebiet erstellt die Software georeferenzierte Luftbilder und überträgt die Ergebnisse via Datenlinkverbindung zum Boden. Mittels Bildanalyse kann das System Objekte wie Fahrzeuge oder Menschen automatisch erfassen und identifizieren. "Sobald die Informationen bei uns in Brauschweig im Krisenzentrum eingehen, und Menschen in Notlage erkannt wurden, werden mögliche Rettungswege zum Einsatzort berechnet und diese Informationen an die freiwilligen Helfer der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft weitergegeben, die auf einem Boot mit zwei Rettungsschwimmern während der Übung auf dem Tankumsee unterwegs sind. "So können diese quasi sofort nach der Erkennung zur Tat schreiten und unsere "Hochwasseropfer" aus dem Wasser retten", beschreibt Dr. Geister den Ablauf.

Überflüge in drei Schritten

Der Einsatz des DLR-Forschungsflugzeuges D-CODE ist dreigeteilt: Im ersten Schritt wird das Gebiet um den Tankumsee zur allgemeinen Lageerfassung großräumig überflogen. Dabei werden nicht nur die Grenzen des Hochwassers ermittelt, sondern mit Aufnahmen von A2, B4 und Dreieck Braunschweig auch die Verkehrsinfrastruktur erfasst. Daraufhin wird das "Krisengebiet Tankumsee" in drei Flugschleifen genauer aufgenommen. In dem dritten Schritt der Flugversuche wird die aktuelle Verkehrslage der umliegenden großen Straßensysteme A2 und B4 erfasst, um die Rettungswege zu analysieren. Das DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik in Berlin erstellt aus den eingehenden Daten ein aktuelles Verkehrslagebild der betroffenen Region. Diese Informationen helfen den Rettungskräften später bei der Koordinierung der Katastrophenlogistik. Diese sind bei dem aktuellen Erprobungsflug noch nicht vor Ort im Einsatz. Erst bei der groß angelegten Demonstrationskampagne zum Ende des DRIVER-Projekts 2017 und 2018 werden die Hilfskräfte das Szenario nicht nur am Computer mitverfolgen, sondern auch selbst zum Einsatz kommen. "Ein Ziel des Flugexperiments ist sicherlich auch aufzuzeigen, welchen wertvollen Beitrag RPAS bei dem Krisenmanagement von Naturkatastrophen spielen können", erklärt Dr. Geister. "Vielleicht kann in der Zukunft Krisenopfern in unzugänglichem Gelände von unbemannten Luftfahrzeugen mit der gezielten und schnellen Bereitstellung von Hilfsgütern, wie Nahrung, Wasser oder Medikamenten geholfen werden."

Die Forschungsarbeiten im Projekt DRIVER finden im Rahmen der DLR-Sicherheitsforschung statt. In derSicherheitsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt werden die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten mit verteidigungs- und sicherheitsrelevantem Bezug in Abstimmung mit den Partnern in Staat, Wissenschaft, Industrie und internationalen Organisationen geplant und gesteuert. Der Querschnittsbereich Sicherheitsforschung verknüpft dabei die Kernkompetenzen aus den etablierten DLR-Programmen der Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und des Verkehrs. Insgesamt mehr als zwanzig DLR-Institute und -Einrichtungen liefern im Rahmen ihrer sicherheitsrelevanten Arbeiten Beiträge zur Entwicklung, Erprobung und Bewertung von Technologien, Systemen und Konzepten sowie zur Analyse- und Bewertungsfähigkeit hinsichtlich sicherheitsrelevanter Anwendungen.

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