Sechste DLR-Erhebung: Wie verändert Corona unsere Mobilität?

25.08.2022

Hintergrundpapier

6. DLR-Erhebung zu Mobilität & Corona, 9-Euro-Ticket und Senkungen der Kraftstoffpreise

Das Leben mit dem Virus ist zuteilen bereits zur Routine geworden. Gerade im Sommer – trotz zuweilen hoher Infektionszahlen – hat sich das Leben in vielerlei Hinsicht normalisiert. Viele haben die Sommermonate bspw. genutzt, um nach den durch Corona deutlich eingeschränkteren Jahren 2020 und 2021, wieder Reisen zu unternehmen. Dazu hat – zumindest im deutschlandweiten Regionalverkehr – auch die Einführung des 9-Euro-Tickets beigetragen. Während der Pandemie gebildete Routinen werden so durch neue Angebote und Veränderungen von Preisstrukturen, wie z.B. den gestiegenen Kraftstoffpreisen, beeinflusst. In einer repräsentativen Panelstudie untersucht das Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) seit Beginn der Pandemie, wie sich das Alltags- und Reiseverhalten der Menschen durch Corona und andere seither aufgetretenen Einflüsse verändert. Ende Juni/ Anfang Juli 2022 wurde die sechste Erhebung durchgeführt. Waren die letzten drei Erhebungen durch eine Stabilisierung Corona-bedingt veränderter Mobilitätsroutinen gekennzeichnet, bringt der Sommer 2022 wieder Bewegung und deutliche Verschiebungen der Verkehrsmittelwahl mit sich.

Wie verändern Corona, das 9-Euro-Ticket und hohe Kraftstoffpreise unsere Mobilität?

Mit nunmehr sechs Erhebungen ist Pandemie-begleitend eine Datenbasis entstanden, die umfangreiche Einblicke in die Veränderungen der Alltags- und Reisemobilität seit Frühjahr 2020 bereitstellt. Die erste Untersuchung erfolgte zum Zeitpunkt des weitreichenden Lockdowns Anfang April 2020, die zweite erfasste die Situation während der Lockerungen Ende Juni/Anfang Juli desselben Jahres; die dritte Erhebung fiel in die Phase des erneuten Lockdowns Ende November/ Anfang Dezember 2020. Zum Zeitpunkt der vierten Erhebung Ende April/Anfang Mai 2021 galten weiterhin wesentliche Einschränkungen des Alltags wie auch des Reisens, allerdings zeichnete sich die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation angesichts wachsender Anteile geimpfter Personen in der Bevölkerung und sinkender Inzidenzwerte ab. Im Sommer entspannte sich die Lage. Die Ausnahmeregelungen wurden gelockert und die Bevölkerung konnte schrittweise zu einem weitgehend normalen Leben zurückkehren. Doch die Hoffnungen, die Pandemie überstanden zu haben, waren trügerisch. Die fünfte Erhebung fiel Ende November/Anfang Dezember 2021 in eine Zeit, in der die nächste Corona-Welle für eine beunruhigende Lage sorgt. Die Inzidenzen waren zum Zeitpunkt der Erhebung höher als in allen vorherigen Phasen der Pandemie, zudem tauchten neue Virusvarianten auf. Die sechste Erhebung sollte zeitgleich wie im Frühjahr 2021 stattfinden. Um die Auswirkungen des 9-Euro-Tickets zu erfassen, wurde die Erhebung auf Ende Juni/ Anfang Juli verlegt. Trotz hoher Inzidenzen galten zum Zeitpunkt der Erhebung neben der Pflicht, Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu tragen, keine weiteren Maßnahmen. Bereits seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine ist das Thema Corona in der Berichterstattung in den Hintergrund gedrängt. In Bezug auf das Thema Mobilität steht vor allem das 9-Euro-Ticket im Vordergrund.

Die wichtigsten Ergebnisse aus der sechsten Befragung in Kürze

  • Corona ist hinter den anderen aktuellen Entwicklungen zurückgetreten. Die Corona-bedingt gedrückte Stimmung von Herbst 2021 ist verflogen; nur eine Minderheit fühlt sich in ihrem Alltag noch durch die Pandemie beeinflusst.
  • Das Mobilitätsverhalten hat sich deutlich verändert. Die öffentlichen Verkehrsmittel, bisher die Verlierer der Pandemie, haben durch das 9-Euro-Ticket starken Aufwind erhalten. Der dramatische Rückgang des ÖPNV ist in den Sommermonaten gestoppt.
  • Rund die Hälfte aller Befragten besaß zum Zeitpunkt der Erhebung eine Zeitkarte für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV); 20 Prozent hatten eine klassische Monatskarte, 28 Prozent verfügten über ein 9-Euro-Ticket, weitere vier Prozenten planten dessen Anschaffung.
  • Das 9-Euro-Ticket wird als preislich attraktiv, klar und einfach verständlich bezeichnet.
  • Die bundesweite Gültigkeit wird sowohl von den 9-Euro-Ticket-Kundinnen und Kunden als auch von Besitzenden klassischer ÖPNV-Abos geschätzt.
  • Das 9-Euro-Ticket ist nicht nur ein Verkaufsschlager, es erreicht auch große Teile der Gesellschaft. Die soziodemographischen Eigenschaften der 9-Euro-Ticket-Kundinnen und Kunden entsprechen zu großen Teilen dem Durchschnitt der Bevölkerung. Das 9-Euro-Ticket ist ein Angebot für alle.
  • Es zeigt sich jedoch ein deutlicher Stadt-Land-Unterschied. Menschen in größeren Städten besitzen häufiger ein 9-Euro-Ticket als Personen aus kleinen Städten und Gemeinden.
  • Das 9-Euro-Ticket wird vor allem von Personen erworben, die vorher bereits mit dem ÖPNV gefahren sind. Wer ihn zuvor sehr viel genutzt hat, ist überwiegend bereits im Besitz einer klassischen Monatskarte. Personen, die vor Einführung der Monatskarte fast nie mit dem ÖPNV gefahren sind, werden nur schwer mit dem Angebot erreicht. Besonders beliebt ist das Angebot bei Personen, die den ÖPNV zuvor mehrmals im Monat genutzt haben.
  • Bei den Nutzungszwecken rangieren Freizeitaktivitäten ganz vorne.
  • Das 9-Euro-Ticket hat einen ähnlich starken Effekt auf das Mobilitätsverhalten gehabt wie der Ausbruch des Corona-Virus, nur in die umgekehrte Richtung. Die sich im Laufe der Pandemie auf höherem Niveau eingependelte Autonutzung ist einer Zunahme multimodalen Verhaltens gewichen. Rund ein Viertel dieser Veränderung geht auf normale jahreszeitliche Veränderungen zurück, wie die Zunahme des Radverkehrs und damit der Gruppe, die den motorisierten Individualverkehr (MIV) und das Fahrrad nutzt. Die anderen drei Viertel der Veränderung (Zunahme von multimodalen Gruppen, bei denen eines der genutzten Verkehrsmittel der ÖPNV ist) sind zu weiten Teilen auf das 9-Euro-Ticket zurückzuführen.
  • Nur ein geringer Anteil der 9-Euro-Ticket-Nutzenden geht von einer gestiegenen ÖPNV-Nutzung nach Ablauf des Aktionsraums aus. Die große Mehrheit ist nicht bereit sich danach ein Monatsabo zum normalen Preis zuzulegen.
  • Die Menschen fühlen sich zu großen Teilen immer noch unwohler in öffentlichen Verkehrsmitteln als vor der Pandemie. Ihr Anteil sinkt jedoch zum vierten Mal in Folge; insbesondere der Anteil der Personen, die sich „deutlich“ unwohler führen und die stärkere der beiden Kategorien nutzen, hat abgenommen.
  • Das Thema Masken ist immer noch ein Problem für den öffentlichen Verkehr (ÖV). Ein Großteil der Befragten stört es, wenn Mitfahrende die Masken nicht richtig tragen. Sie wünschen sich stärkere Kontrollen.
  • Die hohen Kraftstoffpreise stellen für viele Haushalte eine starke Belastung dar.
  • Zwei Fünftel der Befragten mit Pkw im Haushalt geben an, die Pkw-Nutzung wegen hoher Kraftstoffpreise einzuschränken. Am häufigsten wird das Auto seltener genutzt. Andere Strategien wie die Nutzung alternativer Verkehrsmittel oder kraftstoffsparender Fahrweisen sind nachrangiger.
  • 44 Prozent geben an, dass sie ihre Pkw-Nutzung nicht anpassen können, da sie auf das Auto angewiesen sind.
  • Das Beobachten von Kraftstoffpreisen und das gezielte Tanken an Tankstellen und zu Zeiten, in denen die Preise niedriger sind, gehört bei vielen Autofahrenden zum Alltag.
  • Die Menschen arbeiten weiterhin zu einem hohen Anteil im Homeoffice. Zum Zeitpunkt der Erhebung lag der Anteil der Personen, die ausschließlich oder teilweise im Homeoffice arbeiten bei 37 Prozent.
  • Der Online-Handel befindet sich mit einem leicht, vor allem durch die Sommermonate bedingten Rückgang seit Beginn der Pandemie auf hohem Niveau. 

Die DLR-Verkehrsforscherinnen kommen zu dem Schluss: „Das 9-Euro-Ticket zeigt, dass Mobilitätsverhalten durch ein einfaches und klar verständliches Angebot, niedrige Preise und die erweiterte Gültigkeit im bundesweiten Regionalverkehr verändert werden kann. Zumindest in den Sommermonaten konnte der Pandemie-bedingte negative Trend zu mehr Autonutzung gestoppt werden. Damit diese Veränderungen längerfristig und neben dem Freizeitbereich stärker auch andere Alltagswege eingeschlossen sind, braucht es in Zukunft gute und ebenso einfache Angebote für den ÖPNV.“

Mobilität nach 2,5 Jahren Leben mit dem Virus und einem neuen ÖV-Angebot

Im Zentrum der DLR-Erhebungen steht die Frage nach den Gründen für das veränderte Mobilitätsverhalten: Welche neuen Muster zeigen sich bei der Alltagsmobilität? Welche Unterschiede gibt es mit Blick auf verschiedene Bevölkerungsgruppen, und wie unterscheiden sich das Verhalten in der Stadt von dem der Menschen auf dem Land? Was bedeutet das für die Mobilität von morgen? Zentrale Ergebnisse aus der sechsten Erhebungswelle liefern Antworten zu diesen Fragen.

Corona tritt in den Hintergrund

Haben drei Viertel der Befragten im Herbst letzten Jahres die Situation mit Corona als belastend empfunden, fühlt sich aktuell nur eine Minderheit von 5 Prozent sehr stark und weitere 11 Prozent stark in ihrem Alltag von Corona beeinflusst. Das Leben im Sommer 2022 ist zwar nach wie vor von Corona geprägt: bei 43 Prozent der Befragten hat Corona dazu geführt, dass sie in der Freizeit heute weniger unternehmen; 46 Prozent geben an, dass sie auch nach Wegfall der strengen Regularien im Alltag in vielen Situationen eine Maske tragen; und 51 Prozent möchten auch längerfristig Orte mit vielen Menschen meiden. Mit 54 Prozent fühlt sich inzwischen jedoch die Mehrheit (54 Prozent) in ihrem Alltag nicht mehr sehr stark durch Corona eingeschränkt. 39 Prozent der Befragten geben an, dass Corona keinen Einfluss mehr darauf habe, wie sie ihren Alltag gestalten. Dies sah im Herbst 2021 noch anders aus. Die gedrückte Stimmung ist zumindest in den Sommermonaten dieses Jahres verflogen.

Trotz der zum Zeitpunkt der Erhebung steigenden Inzidenzen waren 44 Prozent mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen einverstanden (zum Zeitpunkt der Erhebung waren von den strengeren im Frühjahr 2022 geltenden Maßnahmen nur noch das Tragen von Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen übrig). 46 Prozent schätzten ihr Ansteckungsrisiko zum Zeitpunkt der Erhebung als gering ein.

Alltag mit Corona:
Nur eine Minderheit fühlt sich noch (sehr) stark durch Corona beeinflusst

Einstellungen und Umgang mit dem Corona-beeinflussten Alltag:
Der Einfluss von Corona ist spürbar, aber auch Routine geworden

Mobilität wird zunehmend weniger eingeschränkt wahrgenommen

Das Wegeaufkommen und die Entfernungen von Alltagswegen entsprechen nach Wahrnehmung der Befragten zunehmend der Vor-Corona-Zeit. Rund zwei Drittel geben an, dass sie genauso oft wie früher unterwegs sind und dabei ähnliche Wegelängen zurücklegen. Bei den Entfernungen halten sich Personen, die ihre Wege im Vergleich zu früher kürzer einschätzen (12 Prozent) mit denen, die ihre Wege als weiter bezeichnen (10 Prozent) fast die Waage. Beim Wegeaufkommen überwiegen mit einem Viertel gegenüber einem Zehntel noch die Personen mit eingeschränktem Mobilitätsempfinden.

Dabei zeigt sich: Personen, die angeben heute weniger unterwegs zu sein als in der Vor-Corona-Zeit, sind überdurchschnittlich oft weiblich und älter. Sehr deutlich fällt der Zusammenhang mit Homeoffice aus. Insbesondere Personen, die ihre Arbeit fast ausschließlich von zu Hause erledigen, empfinden ihr Wegeaufkommen als reduziert. Insgesamt hat die Corona-bedingte Einschränkung der Mobilität jedoch deutlich abgenommen.

Selbsteinschätzung der Mobilität im Vergleich zu der Zeit vor Corona:
Die Mobilität wird weitaus weniger eingeschränkt wahrgenommen als zu Beginn der Pandemie

Sprunghafter ÖV-Anstieg, weiterer Aufwärtstrend beim Zufußgehen

Während der Pandemie hat sich gezeigt: Nicht alle Verkehrsmittel sind gleichermaßen von dem zeitweilig sehr starken Rückgang der Mobilität betroffen. Das Zufußgehen hat trotz geringerer Wegeanzahl sogar an Bedeutung für die alltägliche Mobilität gewonnen. Der positive Saldo, der sich nach Abzug der Personen mit weniger Fußwegen für die Personen mit mehr Fußwegen ergibt, ist im Laufe der Pandemie kontinuierlich angestiegen und hat sich auch bei der letzten Erhebung weiter ausgebaut. Nahmobilität zu Fuß, also Mobilität im Wohnumfeld, scheint damit auch nach Wegfall vieler Corona-bedingter Einschränkungen ein Bestandteil der Alltagsmobilität zu sein.

Besonders bemerkenswert ist jedoch die Veränderung beim öffentlichen Verkehr (ÖV). Der dramatische Rückgang des öffentlichen Verkehrs konnte Dank Einführung des 9-Euro-Tickets ins Gegenteil verkehrt werden. Hat in den letzten Erhebungen jeweils rund die Hälfte der Befragten einen Rückgang ihrer ÖV-Wege berichtet, trifft dies nun nur noch auf 16 Prozent zu. Zwei Drittel geben an, den ÖV wieder so oft wie vor der Pandemie zu nutzen, ein Fünftel nutzt ihn häufiger. Dies sind in kurzer Zeit ein sprunghafter Anstieg und eine sehr deutliche Kehrtwende.

Selbsteinschätzung der Nutzungshäufigkeit von Verkehrsmitteln:
Das 9-Euro-Ticket führt zu einer sprunghaften Veränderung beim öffentlichen Verkehr

Das Unbehagen bei kollektiv genutzten Verkehrsmitteln nimmt ab

Auch beim Wohlfühlen zeigt sich eine Veränderung, allerdings sehr langsam. Nach wie vor verbinden viele Menschen mit kollektiv genutzten Verkehrsmitteln wie dem ÖPNV, der Bahn und dem Flugzeug ein Gefühl des Unbehagens. Die abnehmende Tendenz des Unbehagens setzt sich zum vierten Mal in Folge fort und fällt dieses Mal etwas stärker aus als in den Erhebungen davor. So ist der Anteil der Personen, die sich in den Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs im Vergleich zu der Zeit vor Corona deutlich unwohler oder unwohler fühlen von 53 Prozent auf 42 Prozent zurückgegangen. Dabei hat vor allem der Anteil der Personen, die sich deutlich unwohler fühlen als zuvor, abgenommen. Ihr Anteil hat sich fast halbiert.

Subjektives Empfinden bei Verkehrsmittelnutzung:
Das Unwohlsein in kollektiv genutzten Verkehrsmitteln ist hoch, aber stetig abnehmend

Veränderungen durch das 9-Euro-Ticket

Wie viele haben ein 9-Euro-Ticket?

Durch die hohe Medienpräsenz hat das 9-Euro-Ticket mit 98 Prozent aller Befragten in kürzester Zeit einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Die meisten (60 Prozent) geben an, das Angebot gut zu kennen, die anderen kennen es, sind aber über keine Details informiert. Lediglich zwei Prozent wissen mit dem Begriff 9-Euro-Ticket nichts anzufangen.

Das 9-Euro-Ticket war bereits vor Beginn des dreimonatigen Aktionszeitraums ein Verkaufsschlager. Dies macht sich auch im Besitz von ÖPNV-Zeitkarten zum Zeitpunkt der Erhebung Ende Juni/ Anfang Juli bemerkbar. Wie in den Erhebungen davor besitzt ein Fünftel der Befragten ein klassisches ÖPNV-Abo (d.h. eine Monatskarte mit oder ohne Abonnement, ein Semester- oder Jobticket). Neu hinzu kommen nun 28 Prozent der Befragten, die zum Zeitpunkt der Befragung bereits für einen oder mehrere Monate ein 9-Euro-Ticket erworben haben. Der ÖPNV-Zeitkartenbesitz hat sich gut einen Monat nach Einführung des Tickets damit mehr als verdoppelt. Knapp die Hälfte aller Befragten kann den ÖPNV damit zur Flatrate nutzen. Weitere vier Prozent haben die Anschaffung des 9-Euro-Tickets geplant, 12 Prozent sind sich noch unsicher. Lediglich ein gutes Drittel möchte von dem Angebot des 9-Euro-Tickets keinen Gebrauch machen.

Besitz von ÖPNV-Zeitkarten und 9-Euro-Tickets:
Rund die Hälfte aller Befragten ist zum Zeitpunkt der Erhebung im Besitz eines klassischen ÖPNV-Abos oder eines oder mehrerer 9-Euro-Tickets

Für welche Monate haben die Personen 9-Euro-Tickets erworben?

Zum Erhebungszeitpunkt hatte die eine Hälfte der 9-Euro-Ticket-Besitzenden ein Ticket erworben, die andere Hälfte verfügte bereits über mehrere 9-Euro-Tickets. Bedingt durch die Feldphase Ende Juni/ Anfang Juli herrschen diese beiden Monate vor: 81 Prozent hatten ein 9-Euro-Ticket für Juni, 64 Prozent eines für Juli und 22 Prozent für August. Beachtliche 17 Prozent hatten bereits für alle drei Monate des Aktionszeitraums eine Karte erworben.

Anzahl erworbener 9-Euro-Tickets und Verteilung nach Monaten:
Die eine Hälfte der Befragten hat eines, die andere Hälfte hat zwei oder mehr Tickets erworben

Wie viele planten die Anschaffung eines (weiteren) 9-Euro-Tickets?

Personen, die zum Zeitpunkt der Erhebung noch kein 9-Euro-Ticket für die Monate Juli und August hatten und auch nicht im Besitz eines klassischen ÖPNV-Abos waren (dies sind zusammen drei Viertel aller Teilnehmenden), wurden nach ihren Anschaffungsplänen für ein erste, zweites oder drittes 9-Euro-Ticket gefragt. Ein gutes Viertel dieser Gruppe wollte ein (weiteres) 9-Euro-Ticket erwerben, ein gutes Fünftel war sich unsicher, gut die Hälfte wollte keines erwerben. Die Anschaffungsbereitschaft war umso höher, je mehr 9-Euro-Tickets die Personen bereits hatten. 61 Prozent aller Personen mit einem und 87 Prozent alle Personen mit zwei Tickets wollten ein weiteres erwerben. Wer Ende Juni/ Anfang Juli dagegen noch nicht im Besitz eine 9-Euro-Tickets war, wollte auch im restlichen Aktionszeitraum keines mehr kaufen.

Geplante Anschaffung eines (weiteren) 9-Euro-Tickets:
Wer zum Zeitpunkt der Erhebung noch kein 9-Ticket hatte, wollte mehrheitlich auch keines mehr anschaffen

Wer ist im Besitz des 9-Euro-Tickets?

Mit Blick auf die Soziodemographie zeigt sich: Das 9-Euro-Ticket ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Während Kundinnen und Kunden mit klassischem ÖPNV-Abo ein sehr spezifisches Profil aufweisen, entsprechen die Merkmalsverteilung bei den 9-Euro-Ticket-Besitzenden jeweils weitgehend der Gesamtverteilung in der Bevölkerung. Dies trifft auf die Verteilung der Altersklassen, der Bildungsabschlüsse und die Tätigkeit der Personen zu. Die Geschlechterverteilung entspricht sogar bis auf die Nachkommastelle den Werten der Gesamtbevölkerung. Klassische ÖPNV-Abos werden dagegen überproportional oft von jungen, höher gebildeten und Vollzeit berufstätigen Personen sowie Schülerinnen, Schülern und Studierenden besessen. Wer kein 9-Euro-Ticket anschaffen möchte, gehört häufiger als im Gesamtdurchschnitt zur Gruppe der Älteren und entsprechend der Rentnerinnen und Rentner. Damit bildet lediglich die Kundschaft des 9-Euro-Tickets den Querschnitt der Bevölkerung ab. Das 9-Euro-Ticket ist ein Angebot für alle.

Anders sieht es beim Wohnort aus. Die Kundschaft des 9-Euro-Tickets, vor allem aber von klassischen ÖPNV-Abos, lebt häufiger in großen Städten. Wer im Aktionsraum dagegen kein 9-Euro-Ticket anschaffen möchte, ist weit überdurchschnittlich oft in kleinen Städten und Gemeinden zu Hause. Damit einher geht eine um 10 Prozentpunkte höhere Pkw-Besitzrate dieser Haushalte, Mitgliedschaften in Carsharing-Organisationen kommen bei dieser Gruppe im Grunde nicht vor. Demgegenüber leben 30 Prozent der 9-Euro-Ticket-Kundschaft in einem Haushalt ohne Pkw. Dies sind 9 Prozentpunkte mehr als der bundesweite Durschnitt. Ähnlich sieht es bei den ÖPNV-Abonnentinnen und Abonnenten aus. Bei dieser Gruppe sticht vor allem der sehr hohe Anteil an Carsharing-Mitgliedschaften ins Auge. 41 Prozent der ÖPNV-Zeitkarten-Besitzenden (gegenüber 9 Prozent im Gesamtdurchschnitt) haben angegeben Mitglied bei einer Carsharing-Organisation zu sein. Dieser Gruppe stehen neben dem ÖPNV damit zu weiten Teilen auch andere Formen geteilter Mobilität zur Verfügung.

Eigenschaften von Personen mit 9-Euro-Ticket, ÖPNV-Abo und ohne Anschaffungspläne:
Vor allem ÖPNV-Abonnenten und Abonnentinnen weisen ein spezifisches Profil auf

Sehr deutliche Unterschiede zeigen sich auch beim Mobilitätsverhalten. Wie zu erwarten weisen Personen mit ÖPNV-Zeitkarte sowohl für die Zeit vor der Pandemie als auch die Zeit vor Einführung des 9-Euro-Tickets die höchsten Nutzungsraten des ÖV auf. Nicht ganz so ausgeprägt war die Nutzung bei der 9-Euro-Ticket-Kundschaft. Doch auch für diese gilt für die sechs Monate vor dem Aktionszeitraum: 56 Prozent haben den ÖV mindestens monatlich, 29 Prozent mindestens einmal wöchentlich genutzt. Vor Ausbruch des Corona-Virus hat ebenfalls für die Hälfte der 9-Euro-Ticket-Kundinnen und Kunden der ÖV zum alltäglichen Verkehrsmittelset gehört. Dies bedeutet zugleich: Für die andere Hälfte der 9-Euro-Ticket-Kundschaft ist das Fahren mit den Verkehrsmitteln des ÖPNV bislang ein seltenes Ereignis gewesen. Das 9-Euro-Ticket spricht damit sowohl Nutzende als auch die bisher Wenig-Nutzenden des ÖPNV an.

Die Gruppe der Nicht-Kaufinteressierten eines 9-Euro-Tickets vereint sehr klar Personen auf sich, die weder vor der Pandemie (96 Prozent) noch in den sechs Monaten vor dem Aktionszeitraum (90 Prozent) Nutzende des ÖV (mindestens einmal im Monat) waren. Die allermeisten nutzen ihn nie. Während eine geringe vorherige Nutzung den Kauf eines 9-Euro-Tickets fördert, ist die Hürde bei Personen, die nie mit dem ÖV fahren, sehr hoch.

ÖV-Nutzung vor Corona und in den sechs Monaten vor Einführung des 9-Euro-Ticket:
Die 9-Euro-Ticket-Kundschaft hat bereits vor dem Aktionsraum und vor Corona vergleichsweise oft den ÖV genutzt

Wie oft wird das 9-Euro-Ticket genutzt, wie hat sich die ÖPNV-Nutzung verändert?

Zum Zeitpunkt der Erhebung hatten die meisten Befragten bereits Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket gesammelt: ein gutes Drittel hat das Ticket für ein bis vier Fahrten genutzt, ein Fünftel für fünf bis neun und ein weiteres gutes Drittel gehört mit 10 und mehr Fahrten zu den Intensiv-Nutzenden des Tickets. Lediglich acht Prozent hatten das Ticket erworben, es aber noch nicht genutzt.

Auf Basis der allgemeinen Nutzungshäufigkeit des ÖPNV zeigt sich: der Anteil der Personen, die mindestens monatlich mit dem ÖPNV fahren, ist um sieben Prozentpunkte auf 43 Prozent angestiegen. Dies entspricht einer Steigerungsrate von 17 Prozent. Vor allem die ein bis dreimalige Nutzung des ÖPNV pro Woche hat zugenommen (plus fünf Prozentpunkte).

Nutzungshäufigkeit des ÖPNV:
Die mindestens wöchentliche Nutzung des ÖPNV ist um 17 Prozent angestiegen

Wofür wird das 9-Euro-Ticket genutzt?

Das 9-Euro-Ticket hat eine hohe Bedeutung im Freizeitverkehr. 60 Prozent aller Befragten nutzen das Ticket für Ausflüge und Freizeitaktivitäten am Wochenende, 34 Prozent für Freizeitwege in der Woche und 21 Prozent für Urlaubsfahrten. Aber auch bei privaten Erledigungen und Einkaufswegen kommt das Ticket häufig zum Einsatz. Eine geringere Rolle spielt das Ticket beim berufsbedingten Verkehr: 18 Prozent legen damit den Weg zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte zurück. Für Dienstwege während der Arbeit wird es nur von fünf Prozent aller Personen genannt. Werden ausschließlich Berufstätige betrachtet, liegen die Werte bei 31 Prozent (Arbeits-/ Ausbildungswege) und 10 Prozent (für Dienstwege). Bei einem nicht unerheblichen Teil der Berufstätigen konnte damit das erklärte Ziel der Bundesregierung, insbesondere Pendlerinnen und Pendlern von den hohen Energie- und Kraftstoffkosten zu entlasten, erreicht werden. Der Schwerpunkt der Nutzung des 9-Euro-Tickets liegt dennoch im Freizeitbereich.

Nutzungszwecke des 9-Euro-Ticket:
Am häufigsten wird das 9-Euro-Ticket für Freizeitaktivitäten genutzt

In welchem Entfernungsbereich werden die Tickets genutzt?

Da mit dem 9-Euro-Ticket alle Busse und Bahnen des Stadt- und Regionalverkehrs genutzt werden können, erweitert sich der Einsatzbereich des ÖPNV-Monatsticke erheblich. Der Nutzungsschwerpunkt liegt dennoch am Wohnort und in der näheren Umgebung bis 50 Kilometer; drei Viertel aller 9-Euro-Ticket-Kundinnen und Kunden geben an, das Ticket für Wege in diesem Bereich zu nuten. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch: Ein Viertel nutzt es nur für Wege, die weiter sind.

Der Entfernungsbereich von weiteren Wegen in der Region bis 100 Kilometer wird von 38 Prozent der Befragten angegeben. 19 Prozent haben das Ticket auch für Fahrten, die weiter sind als 100 Kilometer sind, gekauft. Dieser zuletzt genannte Entfernungsbereich fällt bei den Personen, die planen ein 9-Euro-Ticket zu kaufen, mit 35 Prozent sehr viel höher aus. Grund hierfür dürfte die für viele Befragte Ende Juni/ Anfang Juli bevorstehende Ferien- und Urlaubszeit sein.

Genutzter Entfernungsbereich des 9-Euro-Ticket:
Drei Viertel nutzen das Ticket im Nahbereich, ein Viertel ausschließlich für weitere Wege

Wie sieht die zukünftige Nutzungserwartung des ÖPNV der 9-Euro-Ticket-Kundschaft aus?

Nur die Minderheit der 9-Euro-Ticket-Kundinnen und Kunden geht von einer Steigerung ihrer ÖPNV-Nutzung nach Ablauf des Aktionsraums aus. 9 Prozent geben an, dass sie den ÖPNV ab September häufiger nutzen werden. 38 Prozent erwarten eine gleichbleibende Frequenz wie vor Einführung des Sondertickets. Der Großteil geht von einer Abnahme der Wegehäufigkeit mit Öffentlichen aus. 14 Prozent möchten ihn gar nicht mehr nutzen

Dabei zeigt sich: Je mehr Fahrten eine Person bereits mit dem 9-Euro-Ticket zurückgelegt hat, umso seltener gibt sie an, nach dem Aktionsraum überhaupt nicht mehr mit dem ÖPNV fahren zu wollen. Während ein Fünftel aller Personen mit ein bis zwei Fahrten den ÖPNV nicht mehr nutzen möchte, liegt ihr Anteil bei den Vielnutzenden nur bei acht Prozent. Dies lässt vermuten, dass bei den Wenig-Nutzenden das 9-Euro-Ticket gezielt für bestimmte Fahrten erworben wird, die nach Ablauf des Aktionszeitraums entweder nicht durchgeführt oder mit einem anderen Verkehrsmittel zurückgelegt werden.

ÖPNV-Nutzung nach Ablauf des Aktionsraums:
Nur wenige gehen von einer höheren ÖPNV-Nutzung aus als vor der Einführung des Tickets

Wie wird das 9-Euro-Ticket bewertet?

Das 9-Euro-Ticket findet hohen Anklang in der Bevölkerung. Rund 70 Prozent aller Befragten halten es für ein sehr attraktives Angebot, das in seinen Bedingungen klar und einfach verständlich ist. Für jeweils etwas mehr als 60 Prozent ist das Ticket ein guter Grund, das Auto stehen zu lassen und eine gute Möglichkeit, den ÖPNV besser kennenzulernen. Persönlich veranlasst, den ÖPNV aufgrund des Tickets häufiger zu nutzen als zuvor, sehen sich dagegen nur noch 39 Prozent, 30 Prozent verneinen dies. Bei der eigenen Handlungsbereitschaft fallen die Zustimmungswerte damit niedriger aus als bei der allgemeinen Bewertung. Lediglich ein Viertel konstatiert, dass ihnen das Ticket egal ist, da sie sowieso nicht mit dem ÖPNV fahren.

Die Einschätzung der Aussagen variiert in Abhängigkeit des Besitzes oder Nicht-Besitzes von Zeitkarten für den ÖPNV. Die höchste Zustimmung erfährt das Angebot bei der 9-Euro-Ticket-Kundschaft, gefolgt von den Besitzenden klassischer ÖPNV-Zeitkarten. So stimmen die Personen mit 9-Euro-Ticket bei sieben von acht positiven Aussagen über das 9-Euro-Ticket jeweils zu mehr als der Hälfte zu, die Personen mit klassischem ÖPNV-Ticket nur bei vier. Am schlechtesten wird es von den Personen, die keine Zeitkarte für den ÖPNV haben, bewertet. 70 Prozent von ihnen ist das Angebot egal, da sie ohnehin nicht mit dem ÖPNV fahren. Sie halten das Angebot zwar grundsätzlich für attraktiv. Die größere Gruppe ist aber jeweils der Meinung, dass die Maßnahme nicht geeignet ist, das Image des LONG zu verbessern und wieder Vertrauen in den Nahverkehr aufzubauen.

Einschätzung des 9-Ticket-Angebots:
Das Angebot ist nach Meinung der Befragten sehr attraktiv und klar verständlich

Speziell an die Gruppe der 9-Euro-Kundinnen und Kunden gerichtete Aussagen kommen zu folgendem Ergebnis: Es besteht keine Bereitschaft, Monatstickets zum normalen Preis zu kaufen. Die weitere Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs wird sehr klar vom Preisangebot abhängig gemacht. 41 Prozent geben an, dass sie den ÖPNV nur während des Aktionsraums nutzen werden.

Der deutschlandweiten Gültigkeit des Tickets wird eine hohe Bedeutung beigemessen. Zeigen die Kundinnen und Kunden bei einer anderen Frage eine sehr hohe Zufriedenheit hinsichtlich Fahrplan und Taktung, Reisendeninformation und Pünktlichkeit, zeigt sich hier, dass öffentliche Verkehrsmittel als sehr voll wahrgenommen werden. Die Mehrheit stört sich daran.

Einstellungen der 9-Euro-Ticket-Kundschaft:
Die zukünftige Nutzung wird sehr stark vom Preisangebot abhängig gemacht

Auch die Abo-Kundinnen und Kunden wurden um die Einschätzung spezifisch an sie gerichteter Aussagen gebeten. Diese Gruppe schätzt ebenfalls die nun bundesweite Gültigkeit ihres Abos und wünscht sich dies auch für die Zukunft. Gleichzeitig konstatieren 30 Prozent, dass die deutschlandweite Gültigkeit für sie tatsächlich von Relevanz ist. Hinsichtlich der Anzahl der Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf ihren typischen Strecken sind 56 Prozent zufrieden. Schlechter schneidet hier die Pünktlichkeit ab: 48 Prozent sagen, dass öffentliche Verkehrsmittel oft unpünktlich sind.

Die deutliche Mehrheit (58 Prozent) gibt an, dass es seit Einführung des 9-Euro-Tickets auf ihren üblichen Strecken voller geworden ist. Ein gutes Drittel fühlt sich dadurch gestört, ein weiteres zum Teil. Lediglich einem guten Viertel macht dies nichts aus.

Einstellungen der Personen mit klassischem ÖPNV-Abo:
Die bundesweite Gültigkeit wird geschätzt, die Busse und Bahnen als voller empfunden

ÖPNV-Stammkundschaft und Einstellungen zu ÖPNV & Corona

Die ÖPNV-Stammkundschaft hat weiter abgenommen

Verglichen mit der letzten Erhebung Ende 2021 hat der Anteil der Personen mit klassischem ÖPNV-Abo weiter abgenommen. Vor Corona hatte ein Viertel aller Befragten eine ÖPNV-Zeitkarte, aktuell sind es nur noch ein knappes Fünftel. Im Vergleich zu der Zeit vor Corona hat die Stammkundschaft des ÖPNV mit klassischer Monatskarte um rund 20 Prozent abgenommen.

Von den Personen, die vor Corona eine Monatskarte besessen haben, verfügen heute nur noch knapp zwei Drittel über eine solche. Es gibt viele verschiedene Gründe, eine Monatskarte abzuschaffen. So hatte sich bereits im Herbst letzten Jahres gezeigt, dass weniger als die Hälfte der Abo-Kündigungen auf Corona zurückzuführen waren. Als problematisch erweist sich, dass die Anzahl gekündigter Abos nicht durch eine ebenso große – oder wie in den Jahren vor Corona oft größere – Gruppe von Personen, die ein Abo neu abschließen, ausgeglichen wird. War der Markt der ÖPNV-Abos in der Vor-Corona-Zeit stabil bis wachsend, hat er sich nun in einen abnehmenden verkehrt. Die Auswirkungen des 9-Euro-Tickets auf diese Entwicklung bleiben abzuwarten und hängen, wie oben dargestellt, auch stark vom Preisangebot ab.

Veränderungen beim Besitz von ÖPNV-Zeitkarten:
Die ÖPNV-Stammkundschaft hat im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit um rund 20 Prozent abgenommen

ÖPNV-Nutzung wird wegen Corona nach wie vor kritisch gesehen

Auch wenn das Thema Corona angesichts anderer Krisen in der Berichterstattung und der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung verloren hat, bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist es nach wie vor sehr präsent. Dies zeigen insbesondere Aussagen, die von den Teilnehmenden bereits in mehreren Erhebungen auf Basis einer 5-stufigen Skala für sie persönlich als zutreffend oder nichtzutreffend eingestuft werden sollten.

Das Thema Maskentragen erweist sich immer noch als Problem. Die große Mehrheit der Personen mit ÖPNV-Abo stört sich daran, wenn andere Mitfahrende Masken nicht richtig tragen. Sie sehen dies immer wieder und wünschen sich eine bessere Kontrolle. Damit einher geht, dass sie Busse und Bahnen aktuell als zu voll empfinden und froh sind, wenn sie zu anderen Personen Abstand halten zu können. Bei den 9-Euro-Ticket-Kundinnen und Kunden sind diese Einschätzung meist noch stärker ausgeprägter.

Mit 34 Prozent überwiegt dennoch der Anteil der Personen, die in öffentlichen Verkehrsmitteln ergriffene Hygienemaßnahmen für ausreichend halten, gegenüber 29 Prozent, die dies verneinen. Hier zeigt sich ähnlich wie im Sommer 2021 eine Entspannung. Im Herbst 2020 und 2021 wurden die Hygienemaßnahmen jeweils kritischer bewertet.

Das Risiko, sich in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Corona anzustecken, wird nicht mehr so groß eingeschätzt wie zu Beginn der Pandemie. Es gehen jedoch immer noch 40 Prozent von einer nicht geringen Ansteckungsgefahr aus. 37 Prozent haben Angst sich anzustecken. 39 Prozent gehen davon aus, dass sie auch langfristig ein ungutes Gefühl bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel haben. Das ungute Gefühl, das sich mit dem ÖPNV und Corona verbindet, ist damit nach wie vor tief in den Köpfen verankert.

Einstellung der ÖPNV-Abo-Kundschaft:
Fehlendes Maskentragen wird nach wie vor als unangenehm empfunden

Verkehrsmittelübergreifende Entwicklung der Mobilitätsroutinen

Die Mobilitätsroutinen haben sich in kurzer Zeit stark verändert

Seit Beginn der pandemiebegleitenden Studie werden die Veränderungen des Mobilitätsverhaltens über die Verteilung von Modalgruppen abgebildet. Diese sagen aus, ob eine Person von den drei Verkehrsmitteln Auto, Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln im Verlauf einer Woche nur eines nutzt und zur Gruppe der Monomodalen gehört oder ob sie einen Mix an Verkehrsmitteln nutzt und damit multimodal ist. Die generellen Präferenzen der Verkehrsmittelwahl hatten sich im Verlauf der Pandemie deutlich zugunsten des Autos verschoben. Vor der Pandemie war die monomodale Autonutzung für die Hälfte aller Befragten gelebte Alltagspraxis. Nach einem anfänglichen Auf- und Ab- in der Anfangsphase der Pandemie hat sich dieser Wert auf einem rund 10-Prozentpunkte höheren Niveau von rund 60 Prozent eingependelt. Abgenommen hatten im Gegenzug vor allem multimodales Verhalten, also der Wechsel zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln, und die ausschließliche Nutzung des ÖV.

Das 9-Euro-Ticket hat nun wie der Ausbruch des Corona-Virus im Frühjahr 2020 in kurzer Zeit zu einer deutlichen Verschiebung der Gruppenanteile geführt, nur in die andere Richtung. Der Anteil monomodaler Autofahrender ist um 10-Prozentpunkte gesunken und damit das Vor-Corona-Niveau erreicht. Multimodales Verhalten hat im entsprechenden Ausmaß zugenommen. Das 9-Euro-Ticket hat damit in kurzer Zeit zu einer sprunghaften Veränderung der sich normalerweise nur langsam verändernden Mobilitätsroutinen geführt.

Anteil der Modalgruppen vor Corona und im Verlauf der Pandemie:
Das 9-Euro-Ticket hat zu einer sprunghaften Veränderung der Gruppenanteile geführt

Die Veränderung ist nicht ausschließlich auf das 9-Euro-Ticket zurückzuführen. Die Verteilung der Modalgruppen weist einen engen Zusammenhang mit den Jahreszeiten auf. In den Sommermonaten steigt vor allem die Bedeutung des Fahrrads als Fortbewegungsmittel. Viele Autofahrende wechseln in dieser Zeit bspw. zur Gruppe der MIV-Rad-Nutzenden. Die Bedeutung des ÖV nimmt in dieser Zeit vor ab (Nobis 2015).

Zu welchem Anteil die Veränderung der Modalgruppen ungefähr auf den Einfluss der Jahreszeiten und das Angebot des 9-Euro-Tickets zurückzuführen ist, zeigt die nachfolgende Abbildung. Im Vergleich zum letzten Herbst ist die Gruppe der Multimodalen um 11 Prozentpunkte angestiegen. Entsprechend der jahreszeitlichen Entwicklung fällt die Gruppe der MIV-Rad-Nutzenden um drei Prozentpunkte höher aus. Jahreszeitenuntypisch entfallen die restlichen Prozentpunkte auf einen Anstieg der multimodalen Gruppen, bei denen eines der genutzten Verkehrsmittel der ÖV ist. So gesehen haben 25 Prozent des Anstiegs multimodalen Verhaltens (mehr MIV-Rad-Fahrende) nichts mit dem 9-Euro-Ticket zu tun. Die anderen 75 Prozent dürften zu großen Teilen auf das Angebot zurückgehen. Über den geänderten Preis und die Erhöhung der Reichweite im Regionalverkehr konnte damit in kurzer Zeit eine deutliche Verhaltensänderung erzielt werden.

Entwicklung multimodalen Untergruppen:
Durch das 9-Euro-Ticket kommt es jahreszeitenuntypisch zu einem starken Anstieg der multimodalen Gruppen mit ÖV-Nutzung

Einfluss hoher Kraftstoffpreise

Wegen hoher Kraftstoffpreise verändern zwei Fünftel Pkw-Nutzung

Um die Haushalte von den hohen Energie- und Kraftstoffpreisen zu entlasten, hat die Bundesregierung im Rahmen eines Entlastungspakets neben der Einführung des 9-Euro-Tickets auch eine Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe vorgenommen. Ein Themenblock der Befragung widmete sich daher der Frage, welche Strategien Haushalte und Personen im Umgang mit hohen Kraftstoffpreisen entwickelt haben.

Drei Viertel aller Befragten geben an, dass die hohen Kraftstoffpreise für sie persönlich bzw. ihren Haushalt eine Belastung darstellen; ein knappes Drittel bezeichnet die Belastung als sehr groß, weitere gut 40 Prozent als groß. Lediglich fünf Prozent der Befragten empfinden diese nicht als Belastung.

Die hohen Kraftstoffpreise in diesem Frühjahr haben 41 Prozent der Befragten veranlasst, ihre Pkw-Nutzung zu verändern. Dieser Wert fällt umso höher aus, je mehr die Kraftstoffpreise als Belastung empfunden werden. Bei sehr hoher finanzieller Belastung liegt der Anteil bei 58 Prozent; Personen, für die sie keine Belastung darstellen, geben zu 15 Prozent an, die Nutzung angepasst zu haben. Danach gefragt, bei welchen Wegen die Nutzung des Autos angepasst wird, liegen private Erledigungen und Einkaufswege ganz vorne. Zwei Drittel aller Befragten (Erledigungen) bzw. 60 Prozent (Einkaufen) geben an, bei diesen Wegen ihr Verhalten zu ändern. Es folgen Freizeitaktivitäten. Ein Fünftel gibt an, die Pkw-Nutzung auf dem Wege zur Arbeit oder Ausbildungsstätte anzupassen.

Einstellungen in Zusammenhang mit hohen Kraftstoffpreisen:
Kraftstoffpreise werden als Belastung empfunden und ändern Pkw-Nutzung

Die Zwecke von Wegen bei denen die Autonutzung angepasst wurde:
Die Pkw-Nutzung wird vor allem bei privaten Erledigungen und Einkaufswegen verändert

Anpassungsstrategien Nummer 1 ist selteneres Fahren

Um der Belastung durch hohe Kraftstoffpreise zu entgehen, wird primär weniger Auto gefahren. Diese Strategie wird von der Hälfte aller Befragten genannt. Alle anderen Anpassungsmöglichkeiten sind nachrangiger. 17 Prozent geben an, ganz auf Wege zu verzichten, 14 Prozent steigen auf ein anderes Verkehrsmittel um. Die Wege werden dann alternativ mit dem ÖV oder dem Fahrrad zurückgelegt. 10 Prozent der Befragten achten auf eine kraftstoffsparende Fahrweise.

Art der Anpassung und ggf. alternativ genutztes Verkehrsmittel:
Die Nutzungshäufigkeit des Pkw wird reduziert, bei Bedarf der ÖV und das Rad genutzt

Kraftstoffpreise werden beobachtet und das Tankverhalten angepasst

Die große Mehrheit der Befragten (gut 70 Prozent) gibt an, die Kraftstoffpreise zu beobachten und gezielt zu tanken, wenn es günstig ist. Darüber hinaus bestätigen 60 Prozent aller Befragten aus Haushalten mit Pkw, dass sie die Preise an unterschiedlichen Tankstellen vergleichen und gezielt Tankstellen mit niedrigen Preisen anfahren. Die Gruppe der Personen, die unabhängig von den Kosten tanken, wenn es nötig ist, fällt mit 34 Prozent deutlich kleiner aus.

Die Hälfte der Befragten schränkt ihre Pkw-Wege ein, wenn es teuer ist. Gleichzeitig sind 44 Prozent der Meinung, dass sie ihre Pkw-Nutzung nicht anpassen können, da sie auf das Auto angewiesen sind.

Die Kraftstoffkosten werden auch mit den Entlastungsmaßnahmen als zu hoch angesehen. Dementsprechend fällt die Gruppe der Personen, für die die Reduktion der Kraftstoffpreise keine große finanzielle Entlastung darstellt größer aus als die Gruppe, die diese als stark belastend empfindet. Die wenigsten sehen sich aufgrund der hohen Kraftstoffpreise veranlasst, über den Kauf eines anderen Autos nachzudenken.

Die Ergebnisse zeigen, das Thema Kraftstoffe treibt Autofahrende um. Das Beobachten der Preise und gezielte Tankstrategien gehören bei weiten Teilen der Bevölkerung zum Autoalltag dazu.

Einstellungen in Zusammenhang mit hohen Kraftstoffpreisen:
Viele Autofahrende haben gezielte Tankstrategien

Homeoffice, Online-Handel & Reisen

Es arbeiten immer noch viele im Homeoffice

Die Arbeitswelt ist für viele Befragte nach wie vor durch Homeoffice geprägt. Der höchste Homeoffice-Anteil wurde im Frühjahr 2021 mit 50 Prozent aller befragten Berufstätigen gemessen. Seither sinkt der Wert, mit 37 Prozent fällt er jedoch immer noch rund drei Mal höher aus als vor der Pandemie. Im Jahr 2017 hatten im Rahmen der Studie Mobilität in Deutschland (MiD) 13 Prozent der Berufstätigen angegeben, zumindest zeitweilig im Homeoffice zu arbeiten. Aktuell arbeitet einer Viertel der Berufstätigen teilweise, 12 Prozent (fast) ausschließlich im Homeoffice.

Die Zufriedenheit mit dem Arbeiten von Zuhause liegt dabei weiterhin auf hohem Niveau. Seit Ende 2020 wurde in vier Erhebungen jeweils derselbe Wert gemessen: Konstant 65 Prozent der im Homeoffice Arbeitenden geben an, mit der Umsetzung des Homeoffice insgesamt zufrieden zu sein. Daran hat sich auch bei zunehmender Dauer im Homeoffice nichts geändert.

Arbeiten während der Corona-Pandemie:
Der Anteil im Homeoffice tätiger Personen ist immer noch fast um das Dreifache höher als vor der Pandemie

Der Online-Handel ist in den Sommermonaten leicht reduziert

Der Anteil der Personen, die in den letzten vier Wochen im Internet eingekauft haben, befindet sich seit Beginn der Pandemie auf hohem Niveau. Auch hier bietet die MiD einen Referenzwert für das Jahr 2017. Danach hat sich der Anteil der Personen, die im Verlauf von vier Wochen mindesteins einen Online-Einkauf tätigen, im Zuge der Pandemie verdoppelt. In der aktuellen Erhebung fällt der Anteil der Online-Einkaufenden vier Prozentpunkte niedriger aus und liegt damit geringfügig unter dem zuletzt Ende 2021 gemessenen Wert. Mit einem Anteil von 55 Prozent aller Befragten, die ein bis drei Einkäufe online getätigt haben und 27 Prozent, die vier und mehr Einkäufe angeben, werden dieselben Werte wie zwei Jahre zuvor im Sommer 2020 erreicht. Die leichten Schwankungen der Werte scheinen daher vor allem jahreszeitlich bedingt zu sein.

Entwicklung der Online-Handels:
Der Onlinehandel befindet sich seit Beginn der Pandemie mit leichten Schwankungen auf hohem Niveau

Zur Studie

Die Ergebnisse basieren auf der vom DLR-Institut für Verkehrsforschung konzipierten Panel-Studie „Mobilität in Krisenzeiten“. In der Studie werden dieselben Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten befragt, um die Pandemie-bedingten Veränderungen des Verhaltens und inzwischen auch des 9-Euro-Tickets und der Senkungen der Kraftstoffpreise im Sommer 2022 zu messen. Damit jede Einzelerhebung repräsentativ für die Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren ist, wird der Ausfall von wiederholt befragten Personen durch die Aufnahme neuer Probandinnen und Probanden ausgeglichen.

Die ersten drei Erhebungen haben im Jahr 2020 stattgefunden – in der Woche vor Ostern (06.-10.04.2020), zu Beginn des Sommers (29.06.-08.07.2020) und im Herbst (25.11.-04.12.2020). Im Jahr 2021 wurden zwei Erhebungen durchgeführt – die vierte vom 28.04.-10.05.2021 und die fünfte vom 25.11.-08.12.2021. Die letzte aktuelle Erhebung war vom 27.06.-11.07.2022 im Feld. Bei den ersten vier Erhebungen wurden jeweils 1.000 Personen über das Access Panel des Erhebungsinstituts Kantar GmbH (https://www.kantardeutschland.de/) im Rahmen einer Online-Erhebung befragt. In der fünften und sechsten Erhebung wurde die Stichprobe auf 2.500 Personen aufgestockt, um auch bei relevanten Teilgruppen eine ausreichende Fallzahl zu erreichen. Inhalte der Erhebung sind die Verkehrsmittelnutzung vor und während der Krise, die Mobilität in Zusammenhang mit Einkaufen, Arbeiten und Freizeit, private und dienstliche Reisen, Einstellungen und persönliche Strategien im Umgang mit der Krise und hohen Kraftstoffkosten sowie die Nutzung des 9-Euro-Tickets und Einstellungen gegenüber dem ÖPNV und dem 9-Euro-Ticket.

Die Forschungsarbeit wurde durchgeführt vom Team Dr. Claudia Nobis, Dr. Viktoriya Kolarova und Sophie Nägele unter Mitarbeit von Dr.-Ing. Christian Winkler und Prof. Dr. Meike Jipp.