Wie verändern sich Berufsbilder im automatisierten Bahnverkehr?

Führerstandsimulator RailSET im DLR
©DLR

Der Bahnbetrieb wird digital. Die Automatisierung macht auch vor der Arbeit der Fahrdienstleiter und Triebfahrzeugführer nicht halt. Software übernimmt immer mehr Aufgaben, Menschen überwachen häufg nur noch die Technik. Wie sich das auf den Arbeitsalltag auswirkt, wie daraus Sicherheitsrisiken entstehen können und welche Maßnahmen Unternehmen ergreifen sollten, untersucht das DLR-Projekt Next Generation Railway Systems (NGRS) in Human-Factors-Studien.

Ganz ohne den Menschen geht‘s nicht – das wird auch im hochtechnologischen System Bahn so bleiben, selbst bei zunehmender Digitalisierung. Wie sich Mensch und Maschine die Arbeit teilen, veränderte sich in den vergangenen Jahrzehnten allerdings schon deutlich: Durch Assistenz und Automatisierung fällt dem Menschen immer mehr die Überwachung technischer Systeme zu, manuell zu steuernde Tätigkeiten werden seltener. Doch genau diese Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine kann zu einem Sicherheitsrisiko werden, sagen Forscher des DLR-Projekts Next Generation Railway Systems.

Versuchsarbeitsplatz im DLR-Labor RailSET (Quelle: DLR)

„Aus arbeitspsychologischer Sicht sind passive Überwachungstätigkeiten ein Problem. Sie bergen die Gefahr von Monotonie in sich, eine Ursache für Müdigkeit“, sagt Dr. Anja Naumann, Leiterin des NGRS-Teilprojektes Cognitive Ergonomics. Das Resultat: Die Aufmerksamkeit lässt nach und Mitarbeiter sind sich der aktuellen Situation weniger bewusst. Doch gerade das ist wichtig, um im Notfall reagieren zu können.

Aus diesem Grund sucht die Rail-Human-Factors-Forschung am DLR innerhalb des Projektes NGRS nach Maßnahmen, um die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter aufrecht zu halten oder zu erhöhen. In diesem Kontext wird auch die Beanspruchung – der sogenannte „workload“ – bei Fahrdienstleiter und Triebfahrzeugführer betrachtet; insbesondere wie Automatisierung zu Monotonie führt. „Unser Ziel ist es, die Arbeit der Fahrdienstleiter und Triebfahrzeugführer optimal zu gestalten und damit ein mittleres Beanspruchungsniveau zu erreichen. Dies führt auch zu einer optimalen Leistungsfähigkeit“, sagt Naumann. Notfällen oder gar Unfällen, wie zum Beispiel in Bad Aibling 2016, könne so besser vorgebeugt werden.

Für ihre Arbeit entwickelten die Forscher zunächst ein Erhebungsinstrument für das Situationsbewusstsein und das DLR-Workload Assessment Tool (DLR-WAT), das die Beanspruchung von Probanden erfasst. Mit Hilfe dieser und weiterer Methoden beobachteten und untersuchten die Forscher Triebfahrzeugführer und Fahrdienstleiter in Simulationen. Dabei variierten sie den Grad der Automatisierung.

"Unsere Ergebnisse bestätigen die bisherige Forschung darin, dass eine hochautomatisierte Arbeitsumgebung zu einer subjektiv empfundenen Unterforderung führt. Fahrdienstleiter, die bereits mit automatisierter Zuglenkung arbeiten, fühlen sich häufg nicht mehr genug gefordert. Noch stärker tritt das bei Triebfahrzeugführern auf, deren Züge automatisch die Geschwindigkeit regeln“, sagt Anja Naumann.

Wie stark sich Fahrdienstleiter beansprucht fühlen, kann sich rapide ändern. Störungen in der Simulation lassen das Level abrupt ansteigen. „Anstatt sich dann allein auf das Betriebsgeschehen konzentrieren zu können, werden die Fahrdienstleiter aber durch eine nicht optimal gestaltete Bedienoberfläche und durch zeitaufwändige Zwischenarbeitsschritte abgelenkt. Im Alarmfall beispielsweise tauchen Warnmeldungen bisher nur gesammelt auf. Der Fahrdienstleiter muss gleichzeitig die Lage schnell analysieren, die Störung melden und dem Triebfahrzeugführer Instruktionen geben“, sagt Anja Naumann. Der Vorschlag der Forscher: Werden die Warnmeldungen besser visualisiert – indem beispielsweise das gestörte Element markiert wird – kann der Fahrdienstleiter die Situation schneller erfassen und besser reagieren.

Um die Situation für Triebfahrzeugführer zu verbessern, prüfen die Forscher zwei Optionen: Die Triebfahrzeugführer müssen immer wissen, welche Assistenzen und Automatisierungen gerade aktiv sind. Darin sollen die Zugsysteme die Mitarbeiter besser unterstützen. Wie, das wollen die Forscher im weiteren Jahresverlauf untersuchen. Ebenso sollen fahrplanbezogene Informationen deutlicher dargestellt werden, um den Überblick über die Gesamtsituation zu erhöhen.

Die DLR-Forscher arbeiten außerdem an einem neuen Konzept für automatisierte Züge: Treten Störungen auf, könnten die Züge in Zukunft durch einen sogenannten Train Operator ferngesteuert werden. Dieser könnte beispielsweise in einer Betriebszentrale sitzen. Da es bei der Bahn bisher keine automatisierten Personenzüge im Regelbetrieb gibt, betreten die DLR-Forscher damit Neuland.

Konzept für den Arbeitsplatz eines Train Operators (Quelle: Brandenburger, N. & Naumann, A. (2018). Menschliche Problemlösung macht automatisierten Bahnverkehr erfolgreich. Signal + Draht 3/2018, S. 6-13)

„Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, dass bei der Gestaltung beider Arbeitsplätze auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen automatisierten Prozessen und der Einbindung des Fahrdienstleiters und Triebfahrzeugführers in die Prozesse geachtet werden sollte“, sagt DLR-Forscherin Anja Naumann. „Auch wenn Routineprozesse weiter automatisiert werden: Die Stärke des Menschens ist es, zu analysieren und Probleme zu lösen. Der Mensch wird deshalb auch weiterhin eine zentrale Rolle im Bahnbetrieb haben. Bei diesen Aufgaben wollen wir die Mitarbeiter durch unsere Forschung unterstützen.“

Übrigens geht es hier zum Artikel im DLR-Magazin.