Zugforscherin Daniela Heine: Statt lautem Knall ein leises "Plopp"

08.03.2013

Wenn Züge durch Tunnel fahren, bauen sich an der Ein- und Ausfahrt - abhängig von ihrem Tempo - unterschiedlich starke Druckwellen auf. Daniela Heine, Physikerin im DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen, erforscht, wie sich diese Druckwellen bei Tunneldurchfahrten besänftigen lassen. 

Ihr Arbeitsplatz ist eine weltweit einzigartige Tunnelsimulationsanlage, die in einer riesigen Halle im DLR Göttingen steht. In der Portrait-Reihe "Menschen im DLR" stellen wir die 25-jährige Doktorandin vor.

An ihren ersten Tag als Doktorandin im DLR Göttingen erinnert sich Daniela Heine noch sehr genau: "Das war der 16. Mai 2011", sagt sie wie aus der Pistole geschossen. Kein Wunder: Als Physikerin hat die 25-Jährige ein Gedächtnis für Zahlen. An diesem Tag hat sie auch ihren Arbeitsplatz kennengelernt: die weltweit einzigartige Tunnelsimulationsanlage. "Die Größe der Anlage hat mich sehr beeindruckt, ich hatte zwar schon von ihr gehört, sie mir aber kleiner vorgestellt", erzählt sie begeistert. An fünf Vormittagen in der Woche ist die Nachwuchsforscherin seitdem in der Bunsenstraße, dem Sitz des DLR Göttingen, anzutreffen. Wenn sie am Nachmittag keine Veranstaltungen oder Termine an der Göttinger Universität hat, bleibt Daniela Heine oft auch länger im Institut. "Das Gute ist, dass ich in dieser Zeit im DLR wirklich forschen kann", freut sie sich. Ihr Büro liegt direkt über der Tunnelsimulationsanlage. So ist die Doktorandin immer ganz nah am Herzstück ihres Forschungsvorhabens.

Daniela Heine untersucht die Ausbreitung von Druckwellen in Eisenbahntunneln. Sie geht ihrer Entstehung auf den Grund und möchte herausfinden, wie sich die Kraft der Wellen bändigen lässt. Sie wirkt besonnen und zunächst auch eher zurückhaltend, ist aber bestens auf unser Gespräch vorbereitet. Mit viel Engagement und großem Fachwissen hat sich die Physikerin in ihr Forschungsgebiet eingearbeitet. In ihrer auf drei Jahre angelegten Promotion setzt Daniela Heine sich intensiv mit der Aerodynamik von Hochgeschwindigkeitszügen wie dem ICE und der Form von Tunneleinfahrten auseinander. "Geringere Druckwellen bei der Ein- und Ausfahrt würden das Zugfahren gerade im Hochgeschwindigkeitsverkehr sicherer und für die Passagiere auch angenehmer machen", erklärt die junge Frau mit den langen rotblonden Haaren. Der Effekt der Druckwellen macht sich durch ein Taubheitsgefühl auf den Ohren oder - seltener - auch durch ein mehr oder weniger lautes Knallen am entgegengesetzten Tunnelende bemerkbar.

Grundsätzlich gilt: Je schneller der Zug fährt und je enger der Tunnel ist, desto stärker ist die Druckwelle. "Jeder, der mit einem ICE reist, spürt die Druckwellen, die bei der Einfahrt der Züge in den Tunnel entstehen", erklärt Daniela Heine. Am Tunnelende werde dieser Druck zurückgeworfen, fährt sie fort. Um die Fahrgäste gegen diese Wellen zu schützen, ist der ICE 3 nahezu luftdicht abgeschlossen und mit besonders dicken Wänden "versiegelt". Deshalb können zum Beispiel auch keine Fenster geöffnet werden. "In einem Intercity müssten eigentlich alle Fenster vor dem Einfahren in einen Tunnel geschlossen werden", schlussfolgert die Zugforscherin. Da dies aber praktisch unmöglich sei, fahre ein Intercity auch entsprechend langsamer durch Tunnel als der ICE.

Zukünftige Züge werden aber noch schneller und zudem immer häufiger auch doppelstöckig unterwegs sein. Eine noch stärkere Druck-Versiegelung würde die Waggons schwerer machen. "Damit steigen aber auch der Energie-Verbrauch und die Kosten", sagt Daniela Heine. Dies müsse berücksichtigt werden, wenn moderne Hochgeschwindigkeitszüge künftig partiell das Flugzeug - beispielsweise auf Kurzstrecken innerhalb von Europa - ersetzen sollen.

Daniela Heine beginnt mit ihren Überlegungen deshalb nicht beim Zug, sondern beim Tunnel. Ihr Ansatz: Ein dem Tunnel vorgelagertes Portal, das mit vertikalen Lüftungsschlitzen versehen ist. Es schwächt die Druckwelle ab. Denn Druckwellen entstehen durch plötzliche Druckunterschiede. Sie setzen sich wie eine Welle fort - Daniela Heine möchte mit ihrem Tunnelportal diesen aerodynamischen "Tsunami" durchbrechen. "Der Druckanstieg soll flacher verlaufen, sodass die negativen Begleiterscheinungen bei Tunnelein- und Tunnelausfahrt minimiert werden", führt sie aus. In ihrer Doktorarbeit verändert sie in unzähligen Versuchen die Tunneleinfahrt so, dass beides am Ende so wirkungsvoll wie möglich gestaltet ist. "Es muss ja schließlich eine optimale Konfiguration geben. Die will ich finden", stellt sie überzeugend fest.

Und dann zeigt Daniela Heine das Tunnelportal. Es ist im Maßstab 1:30 aus Plexiglas gefertigt, ebenso wie der zehn Meter lange Tunnelaufbau selbst. Das zwei Meter lange Modell eines ICE-3 im Maßstab 1:25 besteht aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK). Doch warum ist der Maßstab von Tunnel und Zug nicht gleich? "Der Zug wurde in einem größeren Maßstab gebaut und füllt den Tunnel damit besser aus. Der Druck lässt sich so genauer messen", erläutert die Forscherin.

Echte Graswurzelarbeit mit Raum fürs Experimentieren

Rund 200 Mal hat Daniela Heine das Zugmodell bereits über die 60 Meter lange Schiene durch den Tunnel katapultiert. "Mal arbeite ich mit einem längeren Zug, mal verändere ich die Anzahl, die Größe und die Position der Lüftungsschlitze im Tunnelportal", erläutert die DLR-Wissenschaftlerin. Eine echte Graswurzelarbeit. Mit viel Raum für Experimente, bei denen Daniela Heine selbst Hand anlegen kann. "Die Realitätsnähe ist bei Versuchen natürlich sehr viel größer als bei einer rein numerischen Arbeit. Das ist mir wichtig", steht für die Physikerin aus der Nähe von Celle fest.

Zu Beginn hat sie sich ganz auf die Entstehung und Ausbreitung der Druckwellen im Tunnel konzentriert. "Ich wusste ja noch wenig über die Druckwellen an sich, wir mussten uns erst einmal 'kennenlernen'", sagt Daniela Heine augenzwinkernd. Während eines Versuchs nimmt sie dazu den Druck mit 20 kleinen Mess-Sonden auf, die fest im Tunnel installiert sind. Im Zug sind zusätzlich drei Drucksonden sowie ein Beschleunigungssensor und ein Lichtsensor angebracht. Die Messungen der Sonden im Tunnel und einer Lichtschranke vor dem Tunnel werden mit Hilfe einer speziellen Software direkt auf dem Computerbildschirm aufgezeichnet. "Die im Zug aufgenommenen Daten werden direkt im Zug gespeichert und dann per Rechner ausgelesen", erzählt Daniela Heine. Und schon ein wenig stolz fügt sie hinzu: "Das ist eine Spezialkonstruktion von Klaus Ehrenfried, meinem Betreuer hier im DLR."

Anhand ihrer Messdaten kann die Doktorandin die Änderung des Drucks und den Druckanstieg durch die sogenannte Kompressionswelle, also die Welle, die der Zug bei der Tunneleinfahrt hervorruft, bestimmen. "Meine Ergebnisse vergleiche ich dann mit der Theorie und auch mit den in der Literatur beschriebenen Versuchen", schildert die Wissenschaftlerin ihr weiteres Vorgehen. Der entscheidende Faktor ist dabei die Zeit: "Die Zeit vom Beginn der Druckwelle bis zu ihrem vollen Ausschlag, dem sogenannten Peak, ist die Größe, an der ich drehen möchte." Denn je langsamer sich die Druckwelle aufbaut, desto besser kann sich die Umgebung, also auch der Fahrgast, darauf einstellen und desto weniger fallen störende Effekte ins Gewicht. "Die Welle muss sich langsamer aufbauen, sodass im Extremfall der laute Knall zu einem leisen Plopp wird - wie etwa beim Öffnen einer Flasche mit Bügelverschluss", zieht Daniela Heine einen bildhaften Vergleich. Noch besser wäre es natürlich, wenn der Knall ganz verschwinden würde. "Ein Knall entsteht aber nicht bei jeder Tunneldurchfahrt, das passiert nur in Ausnahmefällen", relativiert sie.

Die Zeit, das Tempo und die Konfiguration entscheiden

Neben der Zeit sowie der Konfiguration des Zugmodells und des Tunnelportals spielt das Tempo, mit dem Daniela Heine ihren Zug auf die Reise schickt, eine große Rolle: Bei ihren bisherigen Versuchen beschleunigte die Wissenschaftlerin das Modell auf der 60 Meter langen Teststrecke auf maximal 160 Stundenkilometer. "Irgendwann möchte ich Tempo 400 erreichen", hat sie sich vorgenommen, "das ist die Höchstgeschwindigkeit, auf die das Katapult ein Zugmodell beschleunigen kann". Das aktuelle Zugmodell ist dafür zu schwer. Ein leichterer Zug ist geplant. Das wird sich machen lassen. Daniela Heine ist ja erst am Anfang ihrer Forschungen.