Multikuppelbarkeit (MKB) bei SPNV-Triebzügen – Herausforderungen und Potenziale

© Clic, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia CommonsBeispiel für zwei gekuppelte Nahverkehrszüge, die durch eine Mittelpufferkupplung miteinander verbunden sind.

Das DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik sowie die Professur für Schienenfahrzeugtechnik, Universität Stuttgart haben im DZSF-Projekt „Kuppelbarkeit von Nahverkehrstriebwagen und -zügen“ die Multikuppelbarkeit (MKB) von Nahverkehrstriebzügen hinsichtlich einer technischen und betrieblichen Machbarkeit untersucht. Eine Multikuppelbarkeit wird in diesem Projekt als eine universale Kuppelbarkeit von SPNV-Fahrzeugen verstanden. Für die Untersuchung einer möglichen Multikuppelbarkeit wurde die Flotte an bundesweit betriebenen SPNV-Triebzügen recherchiert und hinsichtlich verbauter Kupplungstypen analysiert. Ein Großteil der Fahrzeuge (ca. 90 %) besitzt die Scharfenbergkupplung (SchaKu) Typ 10, die zumeist mechanisches und pneumatisches Kuppeln ermöglicht. Die elektronischen Kupplungen und die Leittechnik sind durch eine fehlende Normung in diesem Bereich größtenteils inkompatibel, sodass ein gekuppelter Betrieb unterschiedlicher Fahrzeugbaureihen in der Regel nicht möglich ist. Die losweise Beschaffung von Fahrzeugen sowie mangelnde Normung wirken sich nachteilig auf eine denkbare Multikuppelbarkeit aus und verhindern diese in vielen Fällen. Um eine Multikuppelbarkeit auf den Weg zu bringen, bietet sich einerseits eine strukturierte und nach einheitlichen Kriterien zu erfolgende Fahrzeugbeschaffung an. Dies könnte losübergreifend erfolgen, um einen kuppelbaren Fahrzeugpool zu bilden. Andererseits ist die Erarbeitung eines Standards für die elektronische Kupplung und der zu übertragenden Funktionen wichtig. Eine derartige Standardisierung ist jedoch sehr zeitaufwändig und sollte unter neutraler Koordination auf Bundesebene erfolgen.
 

© DLRDie Abbildung zeigt verschiedene Optionen, um zwei Nahverkehrslinien vor einem Taktknoten an einer vorgelagerten Station zu verknüpfen (1), getrennt voneinander zu führen (2) oder unter Nutzung einer Multikuppelbarkeit gemeinsam gekuppelt zu betreiben (3)

Um die betrieblichen Auswirkungen und Potenziale sowie mögliche Herausforderungen einer Multikuppelbarkeit bewerten zu können, wurden bahnbetriebliche Analysen auf Basis von fahrdynamischen Simulationen durchgeführt. Zur Bemessung der Auswirkungen wurden betriebliche Parameter wie bspw. die Anzahl möglicher Trassen pro Stunde herangezogen. Im Rahmen der Untersuchung wurden anhand konkreter betrieblicher Szenarien die Vorteile aufgezeigt, die sich durch eine Multikuppelbarkeit ergeben. Zum Beispiel wurde bei einem Szenario unterstellt, dass mehrere Zugteile auf einer Kernstrecke im Verbund verkehren, sich aber auf den Außenästen eines Netzes wieder entkuppeln. Durch Nutzung einer Multikuppelbarkeit kann die Fahrgastkapazität auf der Stammstrecke trassensparend erhöht werden. Oftmals wäre nur durch Nutzung einer Multikuppelbarkeit ein Ausbau von Fahrgastkapazitäten möglich, da zusätzliche Fahrplantrassen in vielen Fällen nicht mehr umsetzbar sind. In diesem Beispiel entfallen zudem die bislang notwendigen Umstiege für die Reisenden. Die Zahl an Direktverbindungen kann aufgrund der Durchbindung der Linien erhöht werden. Ein weiterer betrieblicher Nutzen zeigt sich im Störungsfall, insbesondere wenn Fahrzeuge bspw. wegen technischer Mängel nicht mehr einsetzbar sind. Dadurch kann es bislang zu stark reduzierten Fahrgastkapazitäten pro Zug kommen, da nicht mehr die vorgesehene Anzahl an Zugeinheiten eingesetzt werden kann. Im Falle einer Multikuppelbarkeit könnten auch abweichende Fahrzeugbaureihen mit den noch zur Verfügung stehenden Fahrzeugen gekuppelt und somit ein Ausfall an Fahrgastkapazität vermieden werden. Eine betriebliche Herausforderung stellt die Kuppelzeit innerhalb der Bahnhöfe und die damit verbundene Gleisbelegungszeit je Zug dar. Die verlängerte Haltezeit hat eine unmittelbare negative Auswirkung für die Leistungsfähigkeit der anknüpfenden Strecke. Daher sind je nach Größe der Betriebsstelle zusätzliche Bahnsteige oder Nebengleise für den Kupplungsvorgang vorzusehen, um eine Möglichkeit der Umfahrung und Überholung der Züge zu gewährleisten.
 

© DLREine Multikuppelbarkeit ermöglicht im hier beispielhaft dargestellten Szenario die Verknüpfung der beiden Regionalbahn-Linien OSB 1 und OSB 4 sowie eine gemeinsame Führung mit der Regionalexpress-Linie BW 10 Ex


Projektname:
Kuppelbarkeit von Nahverkehrstriebwagen und -zügen

Laufzeit:
11/2021 bis 03/2022

Projektkoordination:
Professur für Schienenfahrzeugtechnik (IMA), Universität Stuttgart

Auftraggeber:
Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung beim Eisenbahn-Bundesamt, Dresden

Projektbeteiligte:
DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik