Fördert eine Umweltprämie für elektrifizierte Pkw geringe Treibhausgasemissionen?

NGC Fahrzeugfamilie des DLR
DLR

Die deutschen Autohersteller sind besonders stark von der Corona-Krise betroffen. Um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, hat die Bundesregierung am 3. Juni 2020 ein umfassendes Konjunkturpaket verabschiedet, welches darauf fokussiert ist das Klimaschutzprogramm 2030 zu beschleunigen, den Strukturwandel der Automobilindustrie zu begleiten und zukunftsfähige Wertschöpfungsketten in diesem Zusammenhang aufzubauen.

Bei der Bandbreite an Antriebskonzepten, welche sich in den nächsten 20 Jahren auf den Straßen befinden werden, stellt sich für den Straßenverkehr somit die Kernfrage, welchen Beitrag zur CO2-Reduktion die einzelnen Pkw-Antriebskonzepte auf ihrem gesamten Lebensweg im Vergleich leisten. Die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Fahrzeugkonzepte beschäftigen sich in zahlreichen Studien mit Fragestellungen wie dieser. Prof. Tjark Siefkes, stellvertretender Leiter des Instituts für Fahrzeugkonzepte, und Mario Feinauer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Fahrzeugsysteme-und Technologiebewertung, erklären welche Konzepte sie als ökologische Hoffnung bewerten.

Frage 1: In Ihren Studien haben Sie verschiedene Pkw- und Antriebkonzepte untersucht. Sind Sie zu dem Ergebnis gekommen, dass zur Erreichung der Klimaschutzziele in Zukunft nur noch Elektroautos auf den Straßen fahren sollten?

Feinauer: Um Pkw bezüglich der CO2 Emissionen zu bewerten, haben wir Mittelklasse-Pkw mit unterschiedlichen Antriebsarten verglichen. Dabei haben wir den Lebenszyklus von der Produktion eines Fahrzeugs bis zur eigentlichen Nutzungsphase sowie die Bereitstellung der hierfür benötigten Energie berücksichtigt. Die Batterieproduktion und die Strombereitstellung sind somit in der Betrachtung enthalten. Als Gesamtlaufleistung wurden jeweils 200.000 km angenommen. Der Vergleich zeigt, dass batterieelektrische Pkw (BEV) besser abschneiden als herkömmliche Verbrenner, auch mit dem heutigen Strommix und derzeitigen Produktionsbedingungen. Dies deckt sich mit den Ergebnissen aktueller Studien anderer Forschungseinrichtungen. Auch ist das zukünftige Potential sowohl zur CO2 Minderung als auch in der gesamten Energieeffizienz bei BEV eindeutig am größten, wenn man den zu erwartenden Anstieg erneuerbarer Energien an der Stromversorgung berücksichtigt.

 

Frage 2: Bekanntlich verursacht die Batterieherstellung selbst auch einen relevanten CO2-Footprint. Wie kann E-Mobilität dann zur CO2-Reduktion beitragen?

Feinauer: Die Batterieherstellung führt bei Batterieelektrischen-Fahrzeugen (BEV) dazu, dass bei der Fahrzeugproduktion mehr Treibhausgasemissionen als bei herkömmlichen Verbrennern entstehen. Allerdings verursachen BEV im Betrieb lediglich Emissionen entsprechend dem Energiemix der Stromherstellung, was in der Regel die erhöhten Herstellungsemissionen überkompensiert. Dabei ist es so, dass schwere Fahrzeuge mit großen Batterien eine schlechtere CO2 Bilanz aufweisen als solche mit kleineren Batterien. Es gilt also unabhängig von der Antriebsart, möglichst kleine und leichte Fahrzeuge zu nutzen, die einen geringen absoluten Energiebedarf pro km und im Fall der BEV eine kleine Batterie nutzen. Um den Reichweitenanforderungen der Nutzer gerecht zu werden, sind dabei weitere Erfolge in der Forschung und Entwicklung von Batterietechnologien extrem wichtig, wie z.B. die Erhöhung der Energiedichte.

 

Frage 3: Wie sehen die Ergebnisse Ihrer Studien im Hinblick auf die wiederholt diskutierten  „Abwrack- bzw. Umweltprämien“ aus?

Feinauer: Zunächst ist zu sagen, dass es bereits eine Umweltprämie für (teil-)elektrisch angetriebene Fahrzeuge gibt, um den Transformationsprozess hin zur Elektromobilität zu unterstützen. Diese Prämie wurde kürzlich auf bis zu 9000 € pro BEV erhöht.

Mit Blick auf den notwendigen Klimaschutz differenzieren die Prämien in Bezug auf ökologische Aspekte nur nach der Antriebsart, die Fahrzeuggröße bzw. das -Gewicht im Verhältnis zur Anzahl der Sitzplätze wird dabei nicht berücksichtigt, dabei spielt beides eine große Rolle beim Energieverbrauch für den Betrieb des Fahrzeugs und somit letztlich auch für den CO2-Ausstoß. Insgesamt ist es Aufgabe der Politik, soziale, ökologische und ökonomische Aspekte gegeneinander abzuwägen und mit unvermeidbar bestehenden Zielkonflikten umzugehen. Zu allen Aspekten gibt es komplexe Debatten – Ist eine Prämie sozial gerecht, trägt sie zum Klimaschutz bei und hilft sie der Wirtschaft langfristig?

 

Frage 4: An welchen Ideen und Konzepten arbeitet das Institut selbst um einen Beitrag zu diesen Fragen zu leisten?

Siefkes: Wir entwickeln und bewerten neue Fahrzeug- und Mobilitätskonzepte, vom Lastenfahrrad bis zum Lkw bzw. Bus und Zügen. Umweltwirkungen entstehen von der Gewinnung der notwendigen Materialien, der Fertigung und der Verwendung von Fahrzeugen über die gesamte Lebensdauer bis zum Recyceln. Auch wenn es sehr komplex ist, müssen alle diese Produktphasen gesamtheitlich betrachtet werden. Entsprechend vielfältig sind die Konzepte an denen wir arbeiten. Nachwachsende Rohstoffe, wie zu Beispiel Holz, können mit modernen Fertigungsverfahren ohne Einbußen in den Eigenschaften verstärkt in Fahrzeugen verbaut werden. Die Energieeffizienz der Antriebe, egal ob mit künstlichen Kraftstoffen, mit Wasserstoff oder batterie-elektrisch betrieben, hat immer noch ein sehr hohes Potential um gesteigert zu werden. Leichtbau in Fahrzeugen trägt ebenfalls dazu bei.
Digitale Technologien, die automatisiertes Fahren und bedarfsgerechte Betriebskonzepte mit Bündelung von Fahrten ermöglichen, sind auch Gegenstand unserer Forschung. Und letztendlich sind ein wesentlicher Faktor immer noch die Fahrerin bzw. der Fahrer, für die zum einen immer mehr digitale Assistenten bereitstehen, die ein energiefreundliches Fahren unterstützen. Zum anderen sind es Veränderungen von gesellschaftlichen Normen, z.B. einer Hinwendung zur Freude an optimierter Energiebilanz beim Fahren und einer Abwendung von Beschleunigungswerten, die die Umweltfreundlichkeit der individuellen Mobilität ausmachen. Wir arbeiten daher an Fahrzeugkonzepten, die ein „step-in and enjoy“ ermöglichen.


Frage 5: Es geht also nicht nur darum, die Antriebsarten auszutauschen, sondern grundlegend neue Mobilitätskonzepte zu entwickeln. Können Sie hier ein konkretes Beispiel aus Ihren aktuellen Forschungsprojekten nennen?

Siefkes: Mit dem futuristischen Fahrzeugkonzept "U-Shift" entwickeln wir eine Lösung für die urbane Mobilität und Logistik von morgen. Zentrales Merkmal ist die Trennung von Fahrzeug (Driveboard genannt) und der Aufbauten für Personen und Güter (Kapseln genannt). Die Idee hinter der Trennung von Driveboard und Kapseln ist eine Erhöhung der Betriebszeit pro Tag. Während z.B. Pkw derzeit im Durchschnitt 23 Stunden am Tag  ungenutzt stehen, soll das U-Shift Driveboard hingegen rund um die Uhr und damit möglichst wirtschaftlich unterwegs sein. Die kostenintensiven Antriebs- und Automatisierungskomponenten sind im Driveboard untergebracht. Von diesen werden im Verhältnis zu der Anzahl der Kapseln nur wenige benötigt. Die wesentlich günstiger zu fertigenden Kapseln lassen sich für eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten auslegen. Mit diesem modularen Aufbau können immer wieder neue Fahrzeugvarianten zusammengestellt,  Geschäftsmodelle eröffnet und ein wesentlicher Beitrag zur Transformation der Automobilwirtschaft geleistet werden. Ein großer Vorteil ist die tageszeitliche Entzerrung des Personen- und Güterverkehrs, so dass u.a. der Flächenbedarf für den innerstädtischen Verkehr reduziert wird. Der erste U-Shift-Prototyp wurde am 17. September auf der SDA Zwischenbilanzkonferenz des Strategiedialogs Automobilwirtschaft BW (SDA BW) in Stuttgart vorgestellt. Das U-Shift ist entwickelt worden, um den Urbanen Verkehr effektiver und effizienter zu gestalten und die Innenstädte lebensfreundlicher zu machen.

Zum Download des Interviews.