Projekt VABENE ++: DLR unterstützt Rettungskräfte bei Einsatzübung

Proben für den Ernstfall: Es sieht dramatisch aus, was sich am 25. April 2015 auf dem ehemaligen Flugplatz in Kitzingen abspielt: mehrere Verletzte werden versorgt, das Bayerische Rote Kreuz (BRK) schickt seine Rettungsdienste, Notärzte und Schnelleinsatztruppen aus, ein Flugzeug kreist über dem Unglücksort. In einer Halle ist eine Tribüne eingestürzt, zeitgleich kommt es vor einer in der Nähe gelegenen Lagerhalle zu einem Unfall, bei dem Gefahrenstoffe freigesetzt werden. All das ist Teil einer Übung des BRK, das mit Unterstützung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und anderen Partnern wie dem internationalen Forschungsprojekt CRISMA den Ernstfall erprobt.

Luftgestützte Verkehrserfassung

Im Rahmen des Projekts VABENE ++ stellte das DLR verkehrsbeobachtende Infrastruktur sowie aktuelle Bilder und Karten über die Verkehrslage und das Einsatzgeschehen für die Übung des BRK zur Verfügung, bei der auch zahlreiche Fachbesucher aus sieben Nationen anwesend waren. Neben der Sensorik auf dem Boden kam dieses Mal ein DLR-Forschungsflugzeug zum Einsatz, um das Geschehen am Boden detailliert zu verfolgen. "Bei dieser Übung fliegen wir nicht mit einem Hubschrauber, sondern mit einem Flächenflugzeug", sagt Dominik Rosenbaum vom DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung, "aber der flexible Einsatz unterschiedlicher Fluggeräte ist ebenfalls eine Aufgabe, die wir meistern".

"Die zur automatischen Erfassung der Straßenverkehrslage aus den Luftaufnahmen eingesetzten Verfahren  sind sowohl bei dem Cessna-System als auch auf dem Hubschrauber-System gleich", erläutert Prof. Dr. Peter Reinartz, Leiter der Abteilung Photogrammetrie und Bildanalyse am Institut für Methodik der Fernerkundung. "Wir verwenden Machine-Learning-Algorithmen zur Detektion der Fahrzeuge in den Luftaufnahmen, die vor dem Flug auf die Erkennung von Fahrzeugen in den Bildern trainiert wurden. Ist ein Detektor erst einmal trainiert, so funktioniert die Erfassung und Geschwindigkeitsbestimmung der Fahrzeuge im Flug in Echtzeit." Für diese Aufgabe haben die Wissenschaftler das Forschungsflugzeug mit einem Kamerasystem, PCs zur Bildauswertung und einem Mikrowellen-Datenlink zur direkten Übertragung der Verkehrsdaten und Luftbilder zu den Einsatzkräften am Boden ausgestattet.

"Mit unserer Cessna 208 B Caravan stellen wir ein hoch flexibles und robustes Flugzeug zur Verfügung, das wir in Kombination mit dem optischen Sensor hinsichtlich der Einsatzdauer und der Beweglichkeit optimal über einem potentiellen Katastrophengebiet einsetzen können", so die Piloten Klaus Dietl und Thomas van Marwick von der DLR-Forschungsflugabteilung.

Zwei neue Verfahren für die Fahrzeugerkennung

Damit die gesamte Schadenslage besser eingeschätzt und Einsatzkräfte wirkungsvoll koordiniert werden können, sind jedoch auch Lageinformationen vom Boden erforderlich. Die Einsatzleitung muss zum Beispiel wissen, welche Fahrzeuge sich aktuell wo befinden beziehungsweise wann sie wieder verfügbar sein werden. Bei der Übung erfolgt diese Erfassung automatisch über eine Fahrzeugerkennung in Videobildern. Die Bildübertragung nutzt ein an der HU Berlin entwickeltes, autarkes WLAN-Funknetzwerk. "Im Notfall steht selten ein stabiles Netz zur Datenübermittlung zur Verfügung. Darüber hinaus sind Frequenzen notwendigerweise für die Kommunikation der Rettungsdienste weitgehend reserviert. Daher sind unsere Verfahren gezielt darauf ausgelegt, auch unter Einschränkungen wie besonders niedrigen Auflösungen und Bildwiederholfrequenzen robuste Ergebnisse zu erzielen", erläutert Prof. Dr. Karsten Lemmer, Direktor des DLR-Instituts für Verkehrssystemtechnik. Die Schwierigkeit besteht insbesondere darin, dass bei sehr niedrigen Bildwiederholraten Fahrzeuge nicht vollständig erfasst werden, weil in den entsprechenden Zeitabschnitten teilweise keine Bildaufnahme erfolgt. "Die beiden Algorithmen sollen hier Abhilfe schaffen und eine exakte Bestimmung der Fahrzeuganzahl auch bei solch schwierigen Bedienungen gewährleisten. Zu diesem Zweck werden verschiedene Merkmale in den Bildern erhoben und miteinander verglichen. Die Bildlücken können somit durch die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten geschlossen werden", sagt Ronald Nippold vom Institut für Verkehrssystemtechnik.

Optimiertes Lagebild durch ergänzende Sensorik

In Ergänzung zur bodengestützten Fahrzeugerkennung wurden durch das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) Methoden zur automatisierten Abschätzung der Belegung von Bereitstellungsräumen auf der Basis von Luftbildern angewandt und mit den Auswertungen der bodengestützten Erfassung verglichen. Weiterhin wurden während der Kampagne erste Funktionalitäten des am Zentrum für Satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) entwickelten neuen webbasierten Kartenerstellungsprozess getestet, wodurch aktuelle Luftbild- sowie thematische Lagekarten mit Informationen zur momentanen Belegung von Bereitstellungsräumen in Nahe Echtzeit vor Ort und automatisiert erstellt werden konnten.

Parallel zur Live-Übertragung durch Kameras am Boden und den Aufnahmen aus dem Flugzeug lieferte auch eine an einem Oktokopter befestigte Kamera vom DLR-Institut für Kommunikation und Navigation Bilder des Geschehens. Auf diese Weise ergibt sich einerseits ein umfassender Überblick über die Gesamtsituation. Andererseits ergänzen die terrestrischen oder bodennahen Aufnahmen diesen Lageüberblick mit umfassenden Detailinformationen und können somit die Einsatzleitung bei Entscheidungen gezielt unterstützen.

"Wir sind zufrieden mit dem Ablauf und den Ergebnissen, die wir in dieser Übung erzielen konnten“, sagt Nippold. „Die Algorithmen haben gut funktioniert und auch die Umplanung auf das Flugzeug hat reibungslos geklappt". Die Erkenntnisse und Daten aus der Übung können nun sowohl die Forscher als auch die Rettungskräfte für ihre Arbeit zukünftig nutzen.

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